Das Recht auf Vergessen
und das Recht auf korrekte Erinnerung

von Dr. iur. Bruno Glaus, Rechtsanwalt, Uznach

1. Ausganglage
Anfangs des dritten Jahrtausend ist vom „Zeitalter des pervasive computing“ die Rede. Im März 2004 hat der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte eine umfassende Bestandesaufnahme veröffentlicht[1]. Mit  „pervasive computing“ umschreibt die Wissenschaft[2]“den Umstand, dass Computertechnik in immer mehr Gegenstände und Bereiche eindringt. Dadurch wird kaum etwas vergessen und das Gespeicherte kann mit Suchmaschinen wieder gefunden werden. IT-Professor Friedemann Mattern erinnert daran, dass auch bei der Verjährung die „Gnade der Zeit“ eine Rolle spiele[3], und meint, Vergessen habe auch mit Verzeihen zu tun.

Die wachsende Bedeutung der Informationsverbreitung über Internet spiegelt sich auch in der Praxis des Schweizerischen Presserats[4]. Auch Juristen haben das Problem seit einiger Zeit erkannt. Schon 1995 mahnte Jean Nicolas Druey in seinem rechtsphilosophischen Traktat „Information als Gegenstand des Rechts“, es gehe darum, die Speicherung und Verknüpfung als eigene Gefahren zu erkennen[5].

2. Aktuelle Rechtslage

2.1  Praxis des Bundesgerichts
Der Fall „Irniger“
Das Recht auf Vergessen ist vom Bundesgericht schon vor vielen Jahren unter der sehr allgemeinen Generalklausel von Art. 28 ZGB „entwickelt“ worden. Als Radio DRS Ende der 70er Jahre eine Hörfolge über „Das Leben und Sterben des unwürdigen Diener Gottes und mörderischen Vagabunden Paul Irniger“, welcher am 25. August 1939 in Zug hingerichtet wurde, ausstrahlen wollte, setzte der Sohn des Hingerichteten mit Erfolg ein Verbot durch. Der Sohn machte geltend, die Ausstrahlung des Hörspiels verletze seine Persönlichkeitsrechte, nämlich die Pietäts- und Ehrgefühle. Das Bundesgericht hielt letztinstanzlich folgendes fest[6], bei einem Straftäter verlange schon allein das Ziel der Resozialiserung „dass ...Vergessen eintreten kann“ und zwar „das dem normalen Lauf der Dinge entsprechende Vergessen“[7], auch wenn dieses nie vollständig sein könne. Vorbehalten bleibe ein überwiegendes wissenschaftliches und allenfalls auch künstlerisches Interesse.

Das Urteil stiess schon damals auf Kritik. Denn Irnigers Sohn, der seit seiner Kindheit einen andern Namen trug, klagte 40 Jahre nach der Hinrichtung des Vaters gegen Radio DRS, obwohl er sich Jahre zuvor bereits ausführlich in einer Boulevardzeitung zum Fall geäussert hatte. Das Bundesgericht beharrte indessen darauf, dass der Persönlichkeitsschutz des Art. 28 ZGB zwar nicht mehr im Namen des toten Vaters angerufen werden könne, wohl aber aus eigenem Persönlichkeitsrecht des Angehörigen. Das gestatte es dem Sohn, seine innere Verbundenheit mit dem Verstorbenen und allenfalls sein eigenes Ansehen zu wahren.Das Bundesgericht hielt fest, es komme nicht darauf an, ob das Verhältnis der Angehörigen zum Verstorbenen besonders innig oder eher gespannt war. Entscheidend sei allein, dass seine Selbstfindung und seine Resozialisierung - der Sohn war ebenfalls straffällig geworden - erheblich gefährdet werde (allerdings substanziiert das Bundesgericht diese Feststellung in keiner Weise). Das Urteil enthält weitere Unschärfen und Unzulänglichkeiten, insbesondere bezüglich Wissenschaftsprivileg[8].

Der Fall „Eibel“
Zwei Jahre später, 1985, setzte sich das Bundesgericht im Eibel-Entscheid[9] erneut mit dem Recht auf Vergessen auseinander und knüpfte an den Irniger-Entscheid an: Medienberichte „über frühere politische Haltung von Personen der Zeitgeschichte sind nicht widerrechtlich, allerdings nur, sofern sie der Wahrheit entsprechen. Insoweit gibt es kein „Recht auf Vergessen“. Medienfreiheit schliesst das Recht ein, über öffentliche Angelegenheiten zu berichten. Zu den öffentlichen Angelegenheiten zählen „auch die persönlichen Verhältnisse der im staatlichen Leben hervortretenden Personen, soweit sie für die staatliche Stellung der Betroffenen von Bedeutung sind“ (S. 214).

Der Fall „Firmensanierer“
Erneut um die Erwähnung von zurückliegenden Vorstrafen ging es in einem Entscheid aus dem Jahr 1996[10]. Das Resozialisierungsziel erfordere, „dass das dem normalen Lauf der Dinge entsprechende Vergessen eintreten kann“; nach zehn Jahren lasse sich ein überwiegendes Informationsinteresse nur schwer begründen, argumentierte das Bundesgericht. Der Kläger, ein früherer Pleitier, sei weder eine „eigentlich berühmte Person“ (!?) geworden, noch habe er ein öffentliches Amt ausgeübt. Das Gericht verwies im übrigen darauf, dass in der Lehre, so u.a. vom Freiburger Strafrechtler Franz Riklin, die Ansicht vertreten werde, die Veröffentlichung einer gelöschten Vorstrafe sei stets unrechtmässig[11].Nicht hören mochte das Bundesgericht das Argument der Wirtschaftszeitschrift "Cash", der Mann delinquiere offensichtlich im vorherigen Wirtschaftsbereich weiter, weshalb die Öffentlichkeit mit Hinweis auf die weit zurückliegende Vorstrafe vor ihm zu warnen sei. Immerhin dürfe die Zeitung Namen und Bild des "Sanierers" mit der Empfehlung publizieren, seine Dienste nicht mehr zu beanspruchen[12].

Der Fall „Fasel-Bande“
Jüngst berichteten die Fachzeitschriften „medialex“ und „Plädoyer“ unter dem Titel „Recht auf Vergessen“ über den Fall „Faselbande“[13]. Ein früheres Mitglied der sogenannten „Fasel-Bande“ erhielt 85'000 Franken Schadenersatz und 40'000 Franken Genugtuung, weil das „Journal de Genève“ seine kriminelle Vergangenheit aus den späten 70er Jahren wieder ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt hatte. Der inzwischen zum Internet-Verantwortlichen aufgestiegene Mann verlor deshalb seine Stellung in einer amerikanischen Firma, erlitt einen Zusammenbruch und bezieht seit 1999 eine IV-Rente.

Der Fall „Tino“ / Willi Wottreng
ImDienste der korrekten Erinnerung wie auch des Nicht-In-Erinnerung-Gerufen-Werdens steht die Archiv-Gesetzgebung. Ein Entscheid aus dem Jahre 2001[14] setzt sich mit dem Archivierungsrecht und den Zugangsprivilegien auseinander. Der Historiker und Publizist Willi Wottreng wollte Zugang zu den Zürcher Gerichtsakten des charismatischen Hell’s Angels-Gründers „Tino“, was ihm verwehrt wurde. Im Lichte der obgenannten Entscheide ist insbesondere folgende Feststellung von Interesse: Das Bundesgericht, das in früheren Entscheiden das Wissenschaftsprivileg höher gewichtet hatte als die blosse Medienfreiheit (die Wissenschaftlichkeit im konkreten Fall aber verneinte[15]), hält fest, der Bundesgesetzgeber habe bewusst „auf das problematische und letztlich nicht überprüfbare sog. Wissenschaftsprivileg verzichtet“[16]. Es gelte das Zugänglichkeitsprinzip unter dem Vorbehalt entgegenstehender Interessen. Dies im Unterschied zur Gerichtsarchivverordnung des Kantons Zürich (LS 211.16)[17], welche das Wissenschaftsprivileg explizit erwähnt. Immerhin deutete das Bundesgericht an, unter welchen Vorsichtsmassnahmen d.h. sorgfältiger Güterabwägung, der Anspruchskonflikt allenfalls gelöst werden könnte[18].

Der Fall Kraska und der Fall Proksch
Im vorliegenden Zusammenhang ist auch auf den Entscheid in der Sache Kraska gegen Tamedia AG hinzuweisen[19]. Das „Recht auf Vergessen“ steht häufig in einem direkten Zusammenhang mit der Frage, ob zum früheren Zeitpunkt mit Namensnennung über ein Verfahren berichtet werden durfte und ob aktuell wieder mit Namensnennung (z.B. wegen eines andern Verfahrens) berichtet werden darf. Das Bundesgericht hielt in der erwähnten Kraska-Entscheidung folgendes fest: Die Gerichtsberichterstattung dient einer verlängerten Gerichtsöffentlichkeit. Es besteht an ihr ein erhebliches Interesse und zwar nicht nur an letztinstanzlichen Urteilen. Namentlich (d.h. e contrario nicht nur) im Strafprozess greife die Berichterstattung häufig in die Privat- oder gar Geheimsphäre ein. Deshalb erfolge die Gerichtsberichterstattung „normalerweise“ in anoymisierter Form, „zumal die Namensnennung im Bereich des Strafrechts in den meisten Fällen auch entbehrlich ist“. Namensnennung könne nur „bei Personen der Zeitgeschichte je nach Interessenlage gerechtfertigt sein, wobei dieser Personenkategorie auch relativ prominente Personen zuzurechnen sind“[20]. Deshalb durfte der Tages-Anzeiger im konkreten Fall - entgegen der Meinung der beiden Vorinstanzen - mit Namensnennung und in gebührender Knappheit über das erstinstanzliche (noch nicht rechtskräftige) Urteil berichten. Allerdings muss, wo eine Berichterstattung mit Namensnennung erlaubt ist (wie dies zum Beispiel im Fall Proksch der Fall war, wo der Betroffene nichts gegen die Identifizierung eingewendet hatte), zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt“[21].

Schlussfolgerung
Die Fall-Beispiele zeigen: Trotz Öffentlichkeitsprinzip in Gerichtsverfahren ist Namensnennung, dort wo Resozialisierungsinteresse, Privatsphäre oder Pietät von Angehörigen einschneidend verletzt werden, nicht, bzw. nur in besonderen Ausnahmefällen, bei Vorliegen besonderer Rechtfertigungsgründe, zulässig. Auch dort, wo die Namensnennung einmal zulässig war, ist wegen des blossen natürlichen Zeitverlaufs ein „Recht auf Vergessen“ zu beachten. Und dieses Recht ist keineswegs eine nur dem resozialisierten Straftäter vorbehaltene Wohltat.

2.2  Praxis des EGMR
Die in medialex 3/04 referierte Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25.05.2004 in Sachen Österreichischer Rundfunk gegen Österreich liegt auf der Linie der bundesgerichtlichen Praxis[22]. Noch stärker als das Bundesgericht betont der EGMR die Einzelfall-Beurteilung und das Erfordernis, nur das zu verbieten, was im konkreten Kontext notwendig ist, um den Schutz der Persönlichkeit zu gewährleisten. Es ging um folgenden Sachverhalt: Anlässlich einer Pressekonferenz zur Reform des Untersuchungsverfahrens nahm der Justizminister auf die Briefbombenverfahren 1995 Bezug. Der Minister nannte unter anderen auch den Namen von B, der im Briefbomben-Prozess freigesprochen, aber wegen eines Verstosses gegen den österreichischen Rassismus-Artikel verurteilt worden war. ORF berichtete über die Pressekonferenz ohne den Namen von B. zu erwähnen, zeigte aber ein Bild von B. vor der Gerichtsverhandlung im Briefbombenverfahren aus dem Jahre 1995. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stützte den Entscheid der Vorinstanz, welche urteilte, die Bildveröffentlichung verletze die Persönlichkeitsrechte von B. Anders als in einem früheren Fall hatte das höchste Gericht Österreichs nicht jegliche Veröffentlichung des Bildes des Betroffenen verboten – das wäre ein Verstoss gegen Art.10 EMRK gewesen. Vielmehr wurde ORF verboten, die Bildveröffentlichung im erwähnten ganz spezifischen Kontext vorzunehmen. Die Bildveröffentlichung füge der Behördeninformation nichts Substanzielles bei, was im öffentlichen Interesse liege. In diesem Kontext liege umgekehrt gerade die Nichtveröffentlichung im überwiegenden Interesse der Resozialisierung von B., urteilte der EGMR – wie schon die Vorinstanz. Hervorzuheben ist, dass ORF das Bild drei Jahre nach dem Freispruch in der Hauptanklage und drei Monate nach Haftentlassung veröffentlichte, der Gerichtshof einen Anspruch auf Nicht-In-Erinnerung-Rufen somit bereits vor Ablauf von 10 Jahren annahm.

Um das Recht auf korrekte Erinnerung und weniger um den Anspruch auf Vergessen ging es im Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht in der Sache Plon gegen Frankreich[23]. Das Gericht hielt fest, einer Buchpublikation (über den früheren Gesundheitsstand des verstorbenen Präsidenten Mitterand) könne allenfalls ein überwiegendes Interesse („besoin social“) im Sinne von Art. 10 Abs.2 EMRK unmittelbar nach dem Tod des verstorbenen Präsidenten Mitterand entgegenstehen, später aber müsse diese Interesse zurücktreten. Zwar wurde die vorsorgliche Massnahme, welche die Angehörigen Mitterand erwirkt hatten, als rechtmässig betrachtet[24], nicht aber das vorinstanzliche Urteil im ordentlichen Verfahren, das ein unbefristetes Publikationsverbot vorsehen wollte. Dafür lägen die Voraussetzungen im Sinne von Art. 10 Abs.2 EMRK nicht mehr vor.

2.3  Praxis des Presserates
Vorweg ist festzuhalten, dass der Presserat wiederholt festgestellt hat, der Schutz der Privatsphäre der Betroffenen und ihrer Angehörigen (sic!) erfordere „grösste Zurückhaltung bei einer identifizierenden Berichterstattung“[25]. Der Presserat hat sich überdies in drei Stellungnahmen mit Aspekten des pervasive computing auseinandergesetzt. Eine erste (grundlegende) Stellungnahme des Plenums geht auf das Jahr 2000 zurück und handelt von „Journalistischer Ethik im Internet“[26]. Der Presserat stellt fest, dass nur ein kleiner Teil im World Wide Web journalistische Publikation sei. Dazu zählt er die Websites von Offline-Medien, die auch online auftreten, spezielle journalistische Online-Angebote, Online-Medienbüros usw. Auf diese Online-Angebote kommen die medienethischen Grundsätze zur Anwendung.Die Sorge um die Glaubwürdigkeit der Medien und um den Schutz der Privatsphäre sei berechtigt, schreibt der Presserat, weil auch „unbestätigte oder gar falsche Meldungen aus dem Internet Eingang in die renommierten Medien fanden und finden“[27] . Deshalb sei „insbesondere“ darauf zu achten, dass offen gelegt werde, wie mit personenbezogenen Daten umgegangen werde, dass Fehler berichtigt würden und – dies ist im vorliegenden Kontext beachtenswert – „Feedback-Stimmen aus dem Nutzerkreis ermöglicht und veröffentlicht werden“ (Feststellung 2).

Folgerichtig hat der Presserat ein Jahr später festgestellt, ein Medium sei berufsethisch verpflichtet, eine Gegendarstellung „zumindest solange online zugänglich zu machen, als auf diese Weise auch auf den Hauptartikel zugegriffen werden kann“[28]. Das muss durch Verlinkung geschehen. Und einmal mehr hat der Presserat grundsätzlich festgehalten, Medien sollten „kritischen Reaktionen auf Medienberichte grosszügig Raum geben“.

Leider hat der Presserat drei Jahre später (2003) das im Grundsatz-Entscheid 2000 erwähnte Bedürfnis nach nachträglicher Aktualisierung von Datenbeständen nicht mehr oder jedenfalls nicht in gewünschter Weise beachtet[29]. Er hielt es nicht für nötig, die Nicht-Eintretensbestimmung von Art.15 Ziff.5 des Geschäftsreglements des Presserats zumindest unter bestimmten Umständen in Frage zu stellen. Der Presserat tritt danach auf eine Beschwerde nicht ein, „wenn die Publikation des beanstandeten Medienberichts länger als ein Jahr zurückliegt“. Dabei hatte die betroffene Zeitung dem Presserat das Terrain vorzüglich geebnet, indem sie festhielt, es handle sich bei der Beschwerde um ein grundsätzliches Problem: ob nämlich Archive als historische Dokumente erhalten werden müssten oder ob diese Archive im Laufe der Zeit an sich überprüft und korrigiert werden müssten. Dabei würden sich freilich eine Reihe schwieriger Fragen bezüglich des Missbrauchs und der praktischen Durchführbarkeit stellen[30].

2.4   Lehrmeinungen zur Namensnennung und zum Recht auf Vergessen
Nebst dem vom Bundesgericht im Entscheid 1996 Band 122 III 449ff. zitierten Franz Riklin[31] hat sich insbesondere Denis Barrelet zur Namensnennung (insbesondere in Strafverfahren) und zum droit à l’oubli und seinen Schranken geäussert[32]. Barrelet vertritt die Auffassung, Namensnennung bei Gerichtsverfahren sei grundsätzlich nicht bzw. nur mit einem besonderen Rechtfertigungsgrund zulässig[33]. Im Ergebnis ist Barrelet zuzustimmen, allerdings ist seine Begründung unvollständig[34] (siehe dazu nachfolgend Ziffer 3.3).

Barrelet leitet das Recht auf Vergessen aus dem strafrechtlichen Anspruch auf Resozialiserung ab, weist dann aber zu Recht darauf hin, der Anspruch sei auch in weiteren Fällen denkbar, überall dort, wo jemand früher unehrenhaftes Verhalten zu Tage gelegt habe. Auch hier erfordere die Güterabwägung – wenn auch weniger kategorisch als beim Straftäter – allenfalls einen Verzicht auf Namensnennung.

Barrelet wiederholt in seiner Kommentierung der EGMR-Praxis[35], was er Jahre zuvor bereits in medialex[36] ausgeführt hatte: Eine Bildveröffentlichung oder Namensnennung könne dem Interesse an einer Resozialisierung eines Straftäters diametral entgegenstehen. Was einmal erlaubt gewesen sei, könne im Verlauf der Zeit unzulässig werden. Andernfalls wäre ein Mensch ein Leben lang stigmatisiert, was dem Konzept einer zivilisierten Justiz zuwiderlaufe. Nebenbei bemerkt Barrelet, dass dies auch der Praxis des Schweizerischen Presserats entspreche, die allerdings nicht in allen Redaktionsstuben Spuren hinterlassen habe. Auch Brückner[37] würdigt – ausgehend vom Firmensanierer-Entscheid – das „Recht auf Vergessen“. Selbst eine wahrheitsgemässe Berichterstattung über eine in der Vergangenheit zurückliegende Verurteilung könne persönlichkeitsverletzend sein beim Fehlen eines besonderen Rechtfertigungsgrundes. Es gelte bei der Güterabwägung der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (ohne dass Brückner explizit auf Art. 4 DSG verweist). Dabei sei insbesondere zu würdigen, ob ein Schutzinteresse der Bevölkerung bestehe und/oder der Betroffene selbst wieder das Rampenlicht gesucht habe – so jüngst der Fall Borgatte – alias Lardelli – welcher in Jona die Bevölkerung mit einem Sex-Club-Projekt auf Trab hält.

Wesentlich ist Brückners Anmerkung in einer Fussnote: „Der Begriff des „Rechts auf Vergessen“ sei einprägsam, aber ungenau. Es geht nicht um das Vergessen – dieses entzieht sich rechtlicher Einflussnahme – sondern um die Unterlassung des öffentlichen In-Erinnerung-Rufens. Im privaten Rahmen ist die Erwähnung zurückliegender Verurteilungen zulässig, sofern nicht die Schranke der Ehrverletzung gemäss Art. 173 ff. StGB überschritten wird“[38].

Brückner folgt damit der Auffassung von Druey, ohne explizit darauf Bezug zu nehmen. Drueys Thesen sind die folgenden: Der Grundsatz von Treu und Glauben ist die „normerzeugende Kraft aller menschlichen Kontakte“[39]. Information ist kein Gut, sondern ein Vorgang[40]. Es darf nicht um Beschränkung der Information gehen, sondern um die Teilhabe daran, „um allenfalls die Qualität sicherzustellen“[41]. Nicht die Unterbindung, sondern die Reichweite des Informationsaktes ist das Problem. Auch in der deutschen Lehre wird diese Auffassung vertreten: „Datenschutz ist nicht programmiertes Vergessen, sondern reflektiertes Bewahren“[42]. Statt rechtlich sanktionierter Löschung von Daten wird für die „Notwendigkeit zeitlicher Barrieren der Verwertung“. Informations- und Kommunikationsfähigkeit setzen Erinnerung, nicht Vergessen voraus.

Das Prinzip der Unverzichtbarkeit der Erinnerung kommt in den Archivgesetzen zum Ausdruck. Erinnerung muss an die Bereitschaft geknüpft werden, eine verlängerte Verarbeitung durch schärfere Verwertungsbeschränkungen sicherzustellen, dies unter Respektierung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung[43]. Diese Thematik ist nicht nur die des Persönlichkeitsschutzes, sondern auch die von Treu und Glauben[44]. Wer Informationen zurückhalten will, muss sich auf eine soziale Wertung stützen, wonach das Zurückhalten dem Verbreiten vorzuziehen ist[45]. Es bedarf der Institutionen, welche für die Selbstreinigung des Informations- und der Entscheidprozesse sorgen[46], „maîtriser et non paralyser“ müsse das Ziel sein[47], schreibt Druey. Es geht darum, die Speicherung und Verknüpfung als eigene Gefahren zu erkennen, als Vorgänge also (..) Massgebend ist die Art der Verwendung[48]“.

Das Bundesgericht hat sich im Wottreng-Entscheid betreffend Zugang zum Archiv-Material in Druey‘s Richtung bewegt, wenn es folgendes festhielt:

„Sowohl die Einsicht nach Ablauf der Schutzfrist als auch die vorgängige Einsicht bedeuten keine freie Verfügbarkeit über die gewonnenen Daten zu Lasten der betroffenen Personen. Vielmehr greift hier der Persönlichkeitsschutz nach Art. 28 ZGB ein. Die Einsicht nehmende Person darf die dem Archiv entnommenen Informationen nicht durch Bekanntmachung, Aufmachung oder Publikation in einer Art verwenden, die den Betroffenen in seiner Persönlichkeit verletzen würde. Dem Archivbenutzer kommt Verantwortung für den Persönlichkeitsschutz zu (-). Dies bedeutet, dass insbesondere bei der vorgängigen Archiveinsicht der Schutz allfällig betroffener Privatpersonen nicht allein durch die Bewilligungsbehörde wahrzunehmen ist“[49]. Und das Bundesgericht hält einige Seiten später fest, es sei dabei zwischen den Interessen des Betroffenen, jenen der Angehörigen und Dritter zu unterscheiden (S.159). Die Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen kann insbesondere wegen der Form der Darstellung persönlichkeitsverletzend und somit unzulässig sein[50].

3. Anspruch auf Vergessen und Anspruch auf Wahrhaftigkeit

3.1 Unterschiedliche Rechtsgrundlage für R/TV und andere Medien
Bedürfnis oder gar Anspruch auf Vergessen stehen in einem Spannungsfeld zum Wahrhaftigkeitsgebot[51] und zur Wahrheitspflicht (Richtigkeitsgebot)[52]. Die beiden Begriffe könnten die Vermutung nahe legen, die Bürger hätten gegenüber den Medien einen verfassungsmässig garantierten Anspruch, „die Wahrheit“ zu erfahren. Dem ist nicht so: Weder aus der Meinungs- und Informations-, noch aus der Medienfreiheit lässt sich ein Anspruch auf wahre Berichterstattung durch die Medien ableiten. Auch ein genereller Anspruch auf korrekte Erinnerung kann nicht aus der Verfassung abgeleitet werden.

Das Bundesgericht hat lediglich negativ ausgeführt, die Medien hätten kein schutzwürdiges Interesse, Unwahres zu verbreiten; die Verbreitung von Unwahrheit sei an sich widerrechtlich, soweit es sich nicht bloss um eine "journalistische Ungenauigkeit" handle[53]. Aber nur Radio- und Fernsehen sind gemäss Art. 93 BV auf sachgerechte und damit – gemäss Gerichtspraxis - wahrhaftige Berichterstattung (auch in Sachfragen) verpflichtet. Wahrhaftigkeit ist Teil der journalistischen Sorgfaltspflicht und bedeutet nach der Praxis der UBI und der damit verbundenen Bundesgerichts-Praxis, „nichts zu sagen oder zu zeigen, was nicht nach bestem Wissen und Gewissen für wahr gehalten wird“[54]. Das Gebot kann auch durch Auslassungen und Reduktion verletzt werden. Die Print-Medien mögen, was blosse Sachinformationen betrifft, auch Unwahres schreiben – Märchen erzählen -; solange sie dabei nicht eine Person in ein "falsches Licht" rücken[55], verletzen sie nicht unmittelbare Rechtspflichten.

Allerdings dürfen staatliche Behörden die Akkreditierung von Fachberichterstattern mit dem Wahrhaftigkeitsgrundsatz koppeln. Wer über klar rekonstruierbare Ereignisse falsch informiere, verstosse nicht nur gegen ein ethisches Gebot, sondern auch gegen eine „sich aus der Pressefreiheit mittelbar ergebende Pflicht“, erkannte das Bundesgericht und hiess ein Informationsreglement des Kantons Nidwalden gut, welches den Entzug der Akkreditierung vorsah, „wenn die Wahrheitspflicht bei der Berichterstattung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt wird.“ Das Bundesgericht hielt fest, Vorgänge, die sich auf eine ganz bestimmten Art abgespielt haben und die auch ohne grosse Schwierigkeiten richtig erkennbar sind, seien auch so wiederzugeben[56].

3.2  Anwendbarkeit des Datenschutzgesetzes auf alle Medien
Nur die personenbezogenen Informationen, die sogenannten Personen-Daten, müssen in allen Medien richtig sein. Dies ergibt sich aus den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes. In der Minelli-Entscheidung BGE 2001 Band 127 III 481 hat das Bundesgericht bestätigt, dass das Datenschutzgesetz mit den Datenbearbeitungsgrundsätzen auch auf die Medien anwendbar ist, da diese Grundsätze lediglich "das Recht der Persönlichkeit des Zivilgesetzbuches ergänzen und konkretisieren“[57]. Im Ergebnis ist dem Bundesgericht zuzustimmen: Die personenbezogene Medien-Information – darunter fällt jegliche identifizierende Berichterstattung über natürliche und juristische Personen – muss nach Datenbearbeitungsgrundsätzen nach Treu und Glauben erfolgen und sie muss verhältnismässig und richtig sein.

4. Persönliche Würdigung / Thesen

4.1 Im Zeitalter des Computers gibt es kein Vergessen
Recht auf Vergessen ist ein unzulänglicher Begriff für ein an sich berechtigtes Anliegen. Nicht alles und jedes soll zu jederzeit beliebig wieder aufgegriffen und verbreitet werden können. Das gilt nicht nur für Straftaten. Niemand soll ein Leben lang bei einer einmal geäusserten Meinung behaftet werden, wenn er längst seine Meinung geändert hat (dazu mehr unter Ziffer 4.4). Vergessen im Sinne von Durchstreichen gibt es nicht[58] – auch psychologisch gesehen nicht. Der Hamburger Psychoanalytiker, Kunst- und Medienwissenschafter Karl-Josef Pazzini sagt es so: „Was einmal in der Welt ist, kann man nur formal negieren. Und die Negation, die macht es stark, vielleicht sogar stärker als ohne Negation, die Negation lädt es mit Energie auf“[59]. Was ungeschehen gemacht werden soll, schafft Tabus und davon ausgehend Symptome, Neurosen, blinde Flecken. Bedeutendes kann aus psychologischer Sicht nicht gelöscht, es kann nur erledigt, aufgearbeitet oder als abgeschlossen auf die Seite gelegt werden, um Platz für Neuorientierung zu schaffen.

4.2 Archive sollen nachgeschrieben werden
Neuorientierung setzt Aktualisierung der Information voraus. Historische Wahrheit soll nicht vernichtet, sondern mit neuen Erkenntnissen angereichert werden. Maîtriser – non paralyser. Es geht um Qualitätssicherung, nicht um Informationsverhinderung. Qualität und Aktualität setzen dynamische Archivierung voraus. Archiviertes soll ergänzt, präzisiert, aktualisiert, nachgeschrieben und wo notwendig korrigiert werden. Zugriff und Verlässlichkeit der Archive müssen verbessert werden, meinen auch Studer und Mayr von Baldegg[60]. Vereinzelt gewähren Redaktionen schon heute aufgrund von Fairnessüberlegungen Nachschreibemöglichkeiten ausserhalb von Gegendarstellungen und Berichtigungsverfahren oder sie sperren alte Bilder, um zu verhindern, dass Abgebildete erneut kompromittiert werden (z.B. Unfallopfer oder die Aufnahme eines halbnackten Bankdirektors an der Streetparade 1997, welche später als Titelbild der Zeitschrift „Marketing&Kommunikation“ verwendet wurde).

Das Datenschutzgesetz nennt in Art. 15 lediglich folgende Rechtsbehelfe: die Berichtigung, die Sperrung, den Vormerk oder die Vernichtung von persönlichkeitsverletzenden Personendaten. Gestützt darauf hatte das Kreisgericht Gaster-See mit Urteil vom 24.09.1998 dem Verlagshaus Ringier verordnet, einen ehrverletzenden Artikel in sämtlichen analogen und digitalen Archiven des Verlags zu löschen[61].

Es stellt sich die Frage, ob aus dem Gesetz eine eigentliche Pflicht zur Fortschreibung des Archivs abgeleitet werden könnte. Diese Frage ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn der alte (nichtaktualisierte) Datenbestand eine Person in einem falschen Licht erscheinen lässt. Eine einmal richtige Tatsachendarstellung kann zwischenzeitlich überholt sein. Eine Berichterstattung über ein erstinstanzliches Urteil findet dann in den Medien keine Fortsetzung mehr, wenn sich die Parteien zweitinstanzlich in einem Vergleich auseinandersetzen – um nur ein Beispiel zu nennen. Unter solchen Umständen soll einem Betroffenen – wenn er in einem falschen Licht erscheint – eine Nachschreibung gewährt werden. Medienschaffende mögen einwenden, die Nachschreibung sei aufwändig, kaum umsetzbar und, Nachschreibung öffne Pressionsversuchen Tür und Tor. Auch hier gilt: Die Gefahr des Missbrauch kann dem grundsätzlich legitimen Anliegen nicht entgegenstehen. Allzu defensiv denkenden Medienschaffenden ist überdies entgegenzuhalten, dass Redaktionen bisweilen weit mehr Aufwand betreiben, um berechtigte Anliegen um Gegendarstellung und Archivnachtrag abzuwehren, als ein Dutzend Nachschreibebegehren verursachen würden.

4.3 Es geht um das Verwerten, nicht um das Vergessen
Es geht nicht um das Vergessen, sondern um das Verwerten, um die Reichweite der Information. Das Datenschutzgesetz setzt die Leitplanken für die Informationsverarbeitung mit den drei Blankettnormen in Art. 4 und 5 DSG[62]: Treu und Glauben, Verhältnismässigkeit und Richtigkeit. Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind:
a. Inhalt der Information: je negativer desto zurückhaltender!
b. Qualifizierung der betroffenen Person: Person der absoluten Zeitgeschichte, der relativen, ereignisbezogenen Zeitgeschichte, oder Person "im Zwischenbereich" (über die "gelegentlich berichtet werden darf", laut Bundesgerichtsurteil „Minelli“) oder nicht?
c. Anlass zur Datenbearbeitung: Wissenschaftliche Untersuchung, Kunstdiskurs, Geschichtsdiskurs oder Zufälligkeit?
d. Reichweite / Verbreitungsgrad des Mediums: Massenmedium oder kleines Zielpublikum?
e. Art der Darstellung (sachlich, reisserisch, kommentiert, unkommentiert)?
f. Motiv des Verbreiters (Rachsucht, Diffamierung oder sachlicher Diskurs)?

Ohne explizit auf die drei erwähnten Datenbearbeitungsgrundsätze Bezug zu nehmen, würdigte das Bundesgericht den Fall Kraska nach solchen Kriterien (kurze Meldung in der Rubrik „In Kürze“ über wahre Tatsachen auf Grund von Aktualität ohne Würdigung des erstinstanzlichen Urteils durch den Tages-Anzeiger mit genauer Quellenangabe „laut Gericht“: „Die Beklagten haben also das erstinstanzliche Urteil nicht zum Anlass genommen, die ursprüngliche Geschichte nochmals in voller Länge aufzurollen oder neue Vorwürfe an den Kläger zu richten“[63]. Namensnennung sei deshalb zulässig gewesen, weil es sich um eine relativ prominente Person handle[64]. Wenn aber – um ein nichterfundenes Beispiel zu nennen - ein Politmagazin lediglich der Verunglimpfung wegen einen rechtskräftig verurteilten Journalisten über Jahre penetrant einen „Einbrecher“ nennt, ergeben Motiv, Anlass und Inhalt der Information kaum den von Art. 12 Abs. 2 lit.b DSG verlangten Rechtfertigungsgrund, welche den Willen des Journalisten auf Unterlassung der beiden Behauptungen überwiegen würden. Schon deshalb, weil wir es hier mit der Kategorie der „besonders schützenswerten Personendaten“ zu tun haben[65].

4.4 Ausdrückliche Willensäusserung ist ein Entscheidungskriterium
Der Gesetzgeber stellt auch auf den Willen des Betroffenen ab. Wer Personendaten bearbeitet, hat den ausdrücklichen Willen von betroffenen Personen zumindest zu registrieren. Ganz besonders bei besonders schützenswerten Personendaten. Das ergibt sich aus Art. 12 Abs. 2 lit.b DSG. Bei besonders schützenswerten Personendaten müssen auch ohne Willensäusserung Rechtfertigungsgründe vorliegen (Art.12 Abs.2 lit.c DSG). Bei der Würdigung der Rechtfertigungsgründe wird künftig die klar verschärfte EGMR-Praxis im Fall Caroline von Hannover zu berücksichtigen sein: Identifizierende und illustrierte Berichterstattung über Personen ohne öffentliche Funktionen, die das Privatleben tangieren, geniessen einen weniger weitgegehenden Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit als Beiträge, die eine Debatte in einer demokratischen Gesellschaft untermauern[66].

5. Abschliessende Feststellungen
1. Im Bereich des Persönlichkeitsschutzes nähert sich unsere Rechtsprechung wegen der Güterabwägung im Einzelfall mehr und mehr dem angelsächsischen Case-law an. Das gilt auch bei Sachverhalten, in denen über identifizierende Berichterstattung zu entscheiden ist.
2. Güterabwägung hängt immer auch von den eigenen Wertmassstäben ab. Ein empfehlenswerte Kontrollfrage lautet: Wie würde ich den Fall beurteilen, wenn ich , meine Frau oder meine Kinder betroffen wären. Denn: was Du nicht willst was man Dir tut, das füg auch keinem andern zu.
3. Schon heute räumen einzelne Verlagshäuser aus blossen Fairness-Prinzipien Betroffenen unter bestimmten Umständen die Möglichkeit einer Nachschreibung ein. Wenn ein überholter Datenbestand im Archiv eine Person in einem falschen Licht erscheinen lässt, besteht gestützt auf Art. 15 DSG ein Rechtsanspruch auf Nachschreibung.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Selbstregulierungs-Praxis der Branche noch stärker in diese Richtung bewegt, ohne dass Gesetzgeber oder Richter den Tarif verschärfen müssen.

Uznach, 8. Oktober 2004 / ©  Bruno Glaus 


Fussnoten

[1] „Elektronische Spuren und Datenschutz“, Bern März 2004, zu speziellen Problemfällen Siehe auch http://www.internet4jurists.at/intern27a.htm.
[2] Friedemann Mattern ist Herausgeber des Buches „Total vernetzt – Szenarien einer informatisierten Welt“, Springer-Verlag 2003.
[3] F.Mattern in: P.Kirchschläger, Th.Kirchschläger, A.Belliger, D.Krieger: „Menschenrechte und Terrorismus“, Bern 2004, S.18.
[4] Erstmals in Stellungnahme Nr. 36/2000.
[5] Jean Nicolas Druey, Information als Gegenstand des Rechts, Zürich 1995, S. 395 (zit. Druey).
[6] BGE 1983 Band 109 II 353.
[7] Das Bundesgericht räumt ein, dass das Vergessen nie vollständig sein könne, weil sich besonders Interessierte daran immer erinnern könnten. Das rechtfertige aber nicht, dass die noch nicht völlig ausgelöschte Vergangenheit durch ein Medium erneut in das Bewusstsein einer grossen Öffentlichkeit gebracht werde. Nach dem Verfahrensschluss und der für die aktuelle Berichterstattung notwendigen Zeitspanne lasse es sich „vom Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit her nicht mehr rechtfertigen, jemanden in der Öffentlichkeit mit einem Strafverfahren in Zusammenhang zu bringen“ .
[8]  Dazu Fn 17
[9] BGE 1985 Band 111 II 209 ff. Der Vorwurf des Landesverrats vermöchte vor der „historischen Wahrheit“ nicht zu bestehen, sie liessen Eibel in einem falschen Licht erscheinen, weshalb diese Äusserung als widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung qualifiziert wurde.
[10] BGE 1996, Band 122 III 449ff.
[11] Dabei handelt es sich nur um zivilrechtliche „Unrechtmässigkeit“, nicht um strafbare Persönlichkeitsverletzung. Vergl. dazu den Wortlaut von Art. 173 Ziff. 2 StGB.
[12] Kritisch Studer /Mayr von Baldegg,Medienrecht für die Praxis, Zürich 2001,S. 110 (zit. Studer/Mayr von Baldegg). Nachzutragen ist, dass es ein knapper Mehrheitsentscheid des Bundesgerichts war und dass der vom Bundesgericht geschützte Firmensanierer einige Zeit später in Österreich wegen Vermögensdelikten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
[13] BGE 5C.156/2003, vom 23. Oktober 2003, publ. in Plädoyer 1/ 04 S. 67, die französisch kommentierte Zusammenfassung zum"Droit à l'oubli" findet sich in medialex 1/04, S. 57.
[14] BGE 2001, Band 127 I 145ff.
[15] In der mündlichen Verhandlung hatte das Bundesgericht bezweifelt, dass eine Biographie überhaupt wissenschaftlich sein kann, zumal Wottreng von sich aus keine bestimmte wissenschaftliche Methodik (was immer das Bundesgericht darunter versteht) geltend mache. Wottreng selbst hat in der mündlichen Verhandlung angemerkt, dass die formalen Anforderungen an Wissenschaftlichkeit wie etwa Beleg der Quellen erfüllt wurden, indem er das Manuskript mit mehr als 900 Anmerkungen versehen habe (die dann aus optischen Gründen vom Verlag auf etwa 700 reduziert wurden.) Ein früher veröffentlichtes Buch von Wottreng über das Zürcher Burghölzli hat ebenfalls mehr als 700 Anmerkungen.
[16] BGE 2001 Band 127 I 154; in BGE 1983 Band 109 II 359 (Fall Irniger) hatte das Bundesgericht „abgesehen von Ausnahmefällen“ dem Medienschaffenden die höheren Weihen der Kunst oder der Wissenschaftlichkeit abgesprochen.
[17] Die Voraussetzungen für vorzeitige Einsicht sind für das allgemeine Archivgut weniger streng als für Gerichtsakten (vergl. BGE 127 I 145).
[18]  Dazu unter Ziffer 3.3.
[19]  BGE 2003 Band 129 III 529.
[20]  A.a.O. S. 533 mit Verweis auf BGE 126 III 209, 126 III 305 und 127 III 481. Das Bundesgericht folgt hier sinngemäss der Lehrmeinung von Denis Barrelet in: medialex 4/98/204ff. (vergl. dazu unter Ziffer 2.3.
[21]  BGE 1990 Band 116 IV 38 (Fall Proksch in der Sache Luconia-Affäre): : „Die Presse hat bei Berichterstattungen über hängige Strafverfahren der in Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Daraus folgt insbesondere, dass bei der Schilderung einer nicht rechtskräftig beurteilten Straftat nur eine Formulierung zulässig sein kann, die hinreichend deutlich macht, dass es sich einstweilen nur um einen Verdacht handelt und die Entscheidung des zuständigen Strafgerichts noch offen ist. Dies ist bei der Auslegung von Art. 173 StGB, insbesondere von dessen Ziffer 2, zu berücksichtigen“ (E. 5a).
[22] Medialex 3/04/168 f.
[23] EMGR Nr. 58148/00 publ. in medialex 3 / 04 / 162
[24] Was Barrelet in medialex 3/ 04/167 kritisiert, während er den Entscheid in der Hauptsache wohlwollend kommentiert.
[25] Zur Praxis des Presserates vergl. Vademekum 02 S. 63ff. Ausnahmen von der Namensnennung sind u.a bei Personen der Zeitgeschichte zuzulassen, wenn ein funktionaler Zusammenhang von Vorwurf und Tätigkeit besteht. Mehr dazu unter www.presserat Praxis zu Ziffer 6.1.3.
[26] Stellungnahme Nr. 36/2000
[27] Stellungnahme Nr. 36/2000 E.6
[28] Stellungnahme Nr. 46/2001 (S.c.Weltwoche); Diese Stellungnahme deckt sich mit der Praxis des Deutschen Presserats: http://www.verdi.de/0x0ac80f2b_0x00041637 . Nach ihm ist das „Recht auf Vergessen“ eine „Facette“ des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Bei der Verwendung von personenbezogenen Daten sind besondere Anforderungen an die Einhaltung von Sorgfaltspflichten (bei der Güterabwägung) zu stellen. Deshalb musste auch der Presseratsentscheid online publiziert und verlinkt werden.
[29] Stellungnahme Nr. 38/2003.
[30] Der Presserat hat es versäumt, zwischen selbstverschuldeter Unterlassung einer sofortigen Berichtigung und sachlich begründeter Nachschreibung wegen grundlegend veränderten Verhältnissen zu unterscheiden. Vergl. dazu die praktischen Beispiel unter Ziffer 4.4 am Schluss des Exposés.
[31] Franz Riklin, Schweizerisches Presserecht, Bern 1996 § 7 N 18.
[32] Denis Barrelet, Droit suisse des mass media, Bern 1987 Rz. 546ff.
[33] Denis Barrelet, La publication du nom des auteurs d’infractions par les médias, in: medialex 4/98/204.
[34] Kritisch zu Barrelet Matthias Schwaibold in medialex 1/99/59. Auch Schwaibold unterlässt aber den Hinweis auf Art. 12 Abs. 2 lit.c i.V.m. Art. 3 DSG, welcher bei besonders schützenswerten Personendaten einen Rechtfertigungsgrund verlangt. Dies entspricht der Praxis des Presserates, vergl. dazu Vademekum 02 S. 63ff.
[35] Medialex 3/04/168.
[36] Medialex 4/98/204ff.
[37] Christian Brückner, Das Personenrecht des ZGB, Zürich 2000, Rz 498 ff. (zit. Brückner).
[38] BrücknerRz 498 N 60
[39] Druey S. 314 mit Verweis auf seinen Aufsatz „Privatrecht als Kontaktrecht“. Daraus lassen sich die Informations- und Bearbeitungspflichten ableiten.
[40] Druey S. 364 und S. 393.
[41] Druey S. 394.
[42] Spiros Simitis in: http://www.studgen.uni-mainz.de/sose99/schwerp2/expose/simitis.htm, ders. Programmierter Gedächtnisverlust oder reflektiertes Bewahren. Zum Verhältnis von Datenschutz und historischer Forschung, in: Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bd.2, Berlin u.a. 1987.
[43] Simitis a.a.O.
[44] Druey S. 364.
[45] Druey S. 361.
[46] Druey . 394.
[47] Druey S. 389 mit Verweis auf den Rapport de la Commission Informatique et Libertés, Paris 1975.
[48] Druey S. 395
[49] BGE 2001 Band 127 I 155.
[50] BGE 2001 Band 127 I 160 mit Verweis auf BGE 126 III 405 und 122 II 449. Nicht nur die Tatsachenbehauptung selbst, auch die Würdigung von Tatsachen kann persönlichkeitsverletzend sein.
[51] Studer/Mayr von Baldegg S. 42ff.
[52] Art. 5 DSG: „Wer Personendaten bearbeitet, hat sich über die Richtigkeit zu vergewissern. Jede betroffene Person kann verlangen, dass unrichtige Daten berichtigt werden.
[53] BGE 126 III 305 (Büsi-Skandal).
[54] Fallbeispiele bei Studer/Mayr von Baldegg S. 44ff. und 177.
[55] BGE 126 III 305 (Büsi-Skandal)
[56] Studer/Mayr von Baldegg S. 16 mit Verweis auf BGE 1981, Band 107 Ia S. 304ff. (Journalisten-Union gegen Nidwalden betreffend Informationsreglement).
[57] BGE 2001 Band 127 III 481; gleicher Ansicht Glaus in NZZ vom 2. September 1997; beide widersprechen der Minderheitsmeinung von Studer/Mayr von Baldegg S.128 widerlegt. Auch dieses Urteil ist zwar auf Kritik gestossen: Das Bundesgericht habe seine eigene Praxis aus Art. 28 ZGB mit Zulassung der journalistischen Ungenauigkeit nicht mit den Datenschutzgrundsätzen abgeglichen.
[58] Zwar wissen wir nach dem „Gesetz von Ebbinghaus“, dass im Kopf gespeicherte Information verfallen, verblassen oder blockiert werden kann. Das betrifft aber nur die menschliche Erinnerung, nicht den Computer.
[59] Karl Josef Pazzini in: Johannes M.Hedinger / Marcus Gosslt (Hrsg.), Kunst, öffentlicher Raum, Identität, Mocmoc das ungeliebte Denkmals, Sulgen/Zürich 2004, S.42.
[60] Studer/Mayr von Baldegg S.128.
[61] Kritisch zu diesem weitreichenden rechtskräftigen Entscheid Studer/Mayr von Baldegg S. 91: Das Archiv, an dem sich Ringier beteiligt, ist eine selbständige juristische Person; Teilhaber sind auch andere Medien.
[62] Art. 4 DSG: Personendaten dürfen nur rechtmässig beschafft werden (Abs. 1). Ihre Bearbeitung hat nach Treu und Glauben zu erfolgen und muss verhältnismässig sein (Abs. 2). Personendaten dürfen nur zu dem Zweck bearbeitet werden, der bei der Beschaffung angegeben wurde, aus den Umständen ersichtlich oder gesetzlich vorgesehen ist (Abs.3).
[63] BGE vom 8. August 2003 (5C.104/2003).
[64] A.a.O. Das Bundesgericht verweist auf BGE 127 III 481, 126 III 209 und 126 III 305.
[65] Art. 3 lit.c DSG: Besonders schützenswerte Personendaten sind „Daten über die religiösen, weltanschaulichen, politischen oder gewerkschaftlichen Ansichten oder Tätigkeiten ....und administrative oder strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen“.
[66] EGMR Nr.59320/00 publ. in medialex 3/ 04 / 158, kritisch dazu Urs Saxer, an der Trendtagung Medienrecht 2004 in Zürich, sowie Peter Glotz in Sonntagblick vom 5. September 2004. – Eher gelassen Peter Studer im „Tages-Anzeiger“ vom 4. September 2004.