Wiedergutmachung durch Genugtuung

Steigende Tendenz bei den Genugtuungssummen wegen Medienverfehlungen. Jüngst musste eine fünfstellige Summe bezahlt werden. Amerikanische Verhältnisse herrschen dennoch nicht.

Von Bruno Glaus*

Fallbeispiel 1: Pendent
Mit einem bitterbösen e-mail zog ein gekränkter PR-Assistent über seine ehemalige Arbeitgeberin daher. Freunde und Berufskolleginnen und Kollegen warnte er: Finger weg von dieser Agentur! So aber hätte er seine Kritik nicht anbringen dürfen. Erstens war die Auflösung des Arbeitsverhältnisses (auch) auf die Qualität der geleisteten Arbeit zurückzuführen. Und zweitens hätte er diese Form von An-den-Pranger-Stellen im gehässigen Ton selbst dann nicht wählen dürfen, wenn ein Teil der Kritik berechtigt wäre. Denn "unnötig verletzend" im Sinne des UWG können auch wahre Äusserungen sein, wenn sie in der Heftigkeit und in der Mittelwahl über das Ziel hinausschiessen. Die Agentur forderte Genugtuung. Der Fall ist pendent.

Fallbeispiel 2: 4000 Franken
Die kaufmännische Angestellte B. F. hatte sich einer Agentur freundlicherweise für ein Fotoshooting zur Verfügung gestellt. Das Bild sollte in der nächsten Nummer des Kundenmagazin erscheinen. Zwei Jahre später sah sich B. F. als Cover-Girl auf dem Lastwagen des Kunden grossformatig zur Schau gestellt. "Unter allen Titel" musste der Verlag dem jungen Hobby-Modell 4000 Franken bezahlen, 2000 in bar, 2000 in Naturalien.

Fallbeispiel 3: je 1000 Franken
Otto Weiersmüller zog mit einem bösen satirisch-polemischen Inserat gegen die Asylpolitik und gegen die "KARITTA" und die "HEX" daher: Von Gehilfenschaft zur Urkundenfälschung, zu Betrug, Begünstigung und Waffenschieberei war sinngemäss die Rede (Siehe Kasten!). Das liessen sich die Caritas Schweiz und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund mit seinem Hilfswerk HEKS nicht gefallen. Sie klagten wegen Ehrverletzung und unlauterem Wettbewerb und forderten Genugtuung. Das Gericht hiess die Klage gut, büsste Weiersmüller mit 2000 Franken und verpflichtete ihn überdies nebst einer Parteientschädigung von rund 4000 Franken auch ein Genugtuungsumme in der Höhe von 1000 Franken zu bezahlen.

Fallbeispiel 4: 13'000 Franken
Sonntags-Blick verunglimpfte einen Bauunternehmer als frechsten Lohndrücker der Schweiz, der vor nichts zurückschreckt. Öffentlich forderte der damalige Chefredaktor: Solche Unternehmer gehören an den Pranger gestellt. Die Vorwürfe entpuppten sich als ungerechtfertigt. Tatsächlich lag dem Arbeitskonflikt im Unternehmen eine fristlose Entlassung zweier Mitarbeiter zugrunde. Die Ringier AG musste dem verunglimpften Unternehmer 13'000 Franken Genugtuung zahlen, eine der höchsten Genugtuungsummen im Medienbereich. Zuvor hatte ein Abstimmungskomitee des St. Galler Gewerbeverbandes bereits eine Genugtuung in der Höhe von 8000 Franken bezahlen müssen, weil es den inkriminierenden Sonntags-Blick-Artikel auf einem Flugblatt weiterverbreitete.

Fallbeispiel 5: 10'000 Franken
"Facts" behauptete, der Präsident einer Kantonalbank nehme und gebe Kredite. Dadurch sei die Bank — nicht zum ersten Mal — "in Schwierigkeiten" geraten. Im Kontext konnten die Leser dies nur als wirtschaftliche Schwierigkeiten verstehen. Bank und Bankpräsident liessen sich dies nicht gefallen. Vergleichsweise einigten sich Verlag und Verunglimpfte auf eine Genugtuungssumme von 10'000 Franken. Auch in diesem Fall musste der Artikel auf den Internet-Linien gesperrt werden. Facts hatte wegen des gleichen Redaktors bereits einmal eine Genugtuungssumme von 3000 Franken bezahlen müssen.

Voraussetzungen für Genugtuung
Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich und schwer verletzt wird, hat "Anspruch auf eine Geldsumme als Genugtuung", heisst es in Art. 49 OR. Voraussetzung ist, dass die Schwere der Verletzung dies rechtfertigt und die Verletzung nicht anders wiedergutgemacht werden kann.

Auch die Organe von juristischen Personen können schwer verletzt sein. Im Urteil gegen Otto Weiersmüller heisst es mit Verweis auf BGE 120 II 98 und SJZ 92 / 78, bei juristischen Personen müsse der seelische Schmerz bei den willensbildenden und handelnden Organen vorliegen: "Dass von Organen juristischer Personen bei Angriffen auf deren Ehre nicht ein seelischer Schmerz analog einer verletzten natürlichen Person verlangt werden kann, ist fraglos. Die Betroffenheit, die Sorge um das Ansehen als gemeinnützige Organisation sowie verbunden damit die Sorge um die weiterhin vollumfänglich mögliche Erfüllung der Aufgaben erscheinen durchaus adäquat zum seelischen Schmerz" (Strafeinzelgericht 17, Gerichtskreis VIII Bern-Laupen, Urteil vom 17. März 1997).

Genugtuung mit Präventionscharakter?
Im wegweisenden Urteil des Bezirksgerichts See vom 24. September 1998 wurden die Sonntags-Blick-Verantwortlichen zu einer Genugtuung in der Höhe von 13'000 Franken verpflichtet - mit Verweis auf Larese in medialex 3/97 und "dem von Lehre und Rechtsprechung begründeten Trend". Massgebend sei die Schwere der Verletzung und die Höhe des Verschuldens. Und weitere argumentierte das Gericht, die Höhe der Genugtuung im Bereich der Medien müsse auch eine gewisse Präventionswirkung entfalten und vor Vermarktung der Persönlichkeit zum Zwecke der Auflagensteigerung schützen: "Bei gewinnorientierten Medien ist nicht ausgeschlossen, dass der Rechtsbruch als Mittel der Auflagesteigerung in Kauf genommen wird".

Zunehmende Medienaggressivität
Genugtuung ist nicht Schadenersatz, sondern — allenfalls zusätzliche - Wiedergutmachung seelischer Unbill. Wo nachweisbar ein Schaden entstanden ist, muss bei besonders schweren Verletzungen zum Schadenersatz hinzu auch noch Genugtuung geleistet werden. Lange Zeit waren Genugtuungssummen fast ausschliesslich bei Tötungs- und Körperverletzungsdelikten zugesprochen worden (Siehe Kasten). Erst mit zunehmender Medienaggressivität haben die Genugtuungszahlungen wegen Persönlichkeitsverletzungen an Bedeutung gewonnen.


Die "Basiswerte"
Die Höhe der Genugtuungssumme muss aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls und unter Würdigung der genugtuungsmindernden Elemente (z.B. Selbstverschulden) und der genugtuungserhöhenden Elemente (z.B. besonders enge Gefühlsbeziehung zum Opfer, langwieriger Heilungsprozess, etc.) festgelegt werden. Aufgrund der Gerichtspraxis lassen sich doch gewisse "Grundwerte" festlegen:

100-prozentige Invalidität nach Körperverletzung: 100'000 Franken

Verlust eines Ehegatten: 40'000 — 50‘000 Franken

Verlust eines Kindes: 20'000 — 30‘000 Franken (allenfalls je Elternteil)

Verlust eines Geschwisters: 5000 — 6000 Franken

Persönlichkeitsverletzung: 2000 — 10‘000 Franken

Aus den tabellarischen Übersichten von Hütte/Duksch (Die Genugtuung, Zürich 1999) geht hervor, dass in der Schweiz selbst bei Vollinvalidität nur selten Genugtuungssummen über 100'000 Franken bezahlt werden. Bei Persönlichkeitsverletzungen wurden über Jahre nur schäbige "Trinkgelder" zugesprochen. Das Anheben der Genugtuungssummen auf das skizzierte Niveau bedeutet noch lange keine "amerikanischen Verhältnisse". Dort stehen Genugtuungssummen bis in Millionenhöhe zur Diskussion.


* Bruno Glaus ist Rechtsanwalt in Uznach mit einem Schwerpunkt in Medien- und Werberecht