Werbung mit Kindern:
Gaga oder Dada?


Philipp Meier, Kurator des Dada-Hauses „Cabaret Voltaire“ entschied sich für Werbung der besonderen Art: Das Künstler-Duo Com&Com kommuniziert über ein Kind namens „Dada“. Das grenzübergreifende Projekt wirft kunst- und werberechtliche Fragen auf.

Von Bruno Glaus

„Wir schenken Ihrem Baby 10'000 Franken, wenn Sie ihm den Namen Dada geben“. Das Werbetransparent vor dem Zürcher Dadahaus „Cabaret Voltaire“ war ernst gemeint. Sieben Eltern meldeten sich. Das Siegerpaar ist auserkoren. Und die gewünschte heftige Debatte läuft.

Wer Com&Com kennt, weiss, es geht um Grenzbereiche, Grenzüberschreitungen, um Schnittstellen von Klischees, Legenden, Fabulierung, Fälschung, Kunst, Marketing-Tools und Kommunikation. Schweizweit bekannt geworden ist das Künstler-Duo im vergangenen Jahr mit dem Projekt „Mocmoc“ in Romanshorn (www.mocmoc.ch) – eines der wenigen demokratisch legitimierten Kunstwerke.

Com&Com, Marcus Gossolt und Johannes Hedinger seien „gleichermassen Verräter, Aufklärer und Kritiker der massenmedialen Verschwörung“, schreibt Anselm Franke, Kurator an den Kunstwerken in Berlin. Es geht auch um Provokation, um die schonungslose Darlegung von (alltäglichen) Interessenkonflikten, um Fragen und den Diskurs von Legitimation. Im Fall von „Gugusdada“: Das Kind als Gegenstand eines Kunstprojekts, das Kind als Werbesubjekt! Was dürfen Künstler mit Kleinkindern anstellen? Dürfen Sie mehr als „normale“ Werber? Was ist Eltern erlaubt? Wieviel Provokation erträgt die „allgemeine Empfindung? Wenn Schoggi-Riegel, Drittweltorganisationen und Stiftungen ihr Fundrising mit „Kinderwerbung“ vorantreiben, warum sollen Com&Com das Cabaret Voltaire nicht mit dem „Dada“-Kind bewerben? Die beiden Künstler provozieren einen medial geführten Diskurs über Mechanismen der Instrumentalisierung von Menschen. Damit begeben sie sich erneut auf eine ethische Gratwanderung.

Diskurs in vollem Gang
Der von den Künstlern und dem Kurator durchaus gewünschte Diskurs ist in vollem Gang. Dass die Provokation auch Proteste auslösen würde, war allen von Anfang an klar. Ein Blick auf www.gugusdada.ch: „Sophie Täuber-Arp dreht sich im Grab um, wenn sie sieht, was für eine Provinz-Posse im Cabaret Voltaire geschieht“, zieht einer gleich am Anfang der Rubrik „Diskussionsforum – Beiträge lesen“ dahin. Auch die Sonntags-Zeitung vom 24. Oktober 2004 war – im Gegensatz zu andern Medien - nicht gerade wohlwollend, aber durchaus differenzierter: „Gerade Mütter und Väter aus Kulturkreisen leben ihre Pseudo-Originalität besonders rücksichtslos an ihren Babys aus. Spice-Girl Victoria und ihr Fussballer tauften ihr Kind Brooklyn - weil es dort gezeugt wurde. Gwyneth Paltrow und Chris Martin (von der Rockband Coldplay) kamen auf den Namen Apple. Die Sängerin Peaches beklagte sich kürzlich zu Recht, sie sei doch keine Frucht. In der Schweiz ist es ja verboten, Kinder nach Früchten zu benennen, es sei denn, es handle sich um die Sorte Jonathan. Aber das ist alles noch besser als zu heissen wie eine historische Kunstbewegung.“.

Was darf Kunst?
Kunst darf vieles, aber Kunst darf nicht alles: Trotz der verfassungsmässig garantierten Kunstfreiheit darf nach bundesgerichtlicher Praxis nicht der Schluss gezogen werden, „jede Persönlichkeitsverletzung könne mit der Kunstfreiheit gerechtfertigt werden“ (BGE 120 II 224). Die Schranken der Kunstfreiheit müssen aus gesetzlichen Vorschriften hervorgehen, die Einschränkungen müssen notwendig und verhältnismässig sein. Oberster Masstab ist die UNO-Kinderrechtskonvention. Die UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 verbietet „jede Diskriminierung“ des Kindes. Die angeschlossenen Staaten sind verpflichtet, Massnahmen zu treffen, damit das Kind nicht wegen der Meinung oder der Weltanschauung seiner Eltern diskriminiert wird (Art. 2). Für Erziehung und Entwicklung des Kindes sind in erster Linie die Eltern verantwortlich. Staatliche Eingriffe sind nur zulässig, soweit die Eltern dem Kindeswohl zuwider handeln (Art. 5 und 18). Vor allem geht es darum, körperliche oder geistige Gewaltanwendung zu verhindern (Art. 19).

Bei der Rechtsanwendung haben sich die Staaten somit immer und ausschliesslich daran zu orientieren, ob im konkreten Fall das Kindeswohl gefährdet scheint. Diese Frage ist jeweils aufgrund aller konkreten Umstände zu beantworten. Das Verulkungsrisiko ist ein wenig tauglicher Massstab. Man weiss aus allgemeiner Lebenserfahrung, dass eine als „Notburga“ registrierte und in der Schule als „Burgi“ und „Burgfräulein“ gefoppte Person noch keineswegs einen Schaden für das ganze Leben zu erleiden braucht. Es wird deshalb der Name „Notburga“ weiterhin bedenkenlos in die Register eingetragen. Um nur ein Beispiel zu nennen. Der Realitätsbezug ist hier gering. Und genau auf diesen Aspekt legt das Bundesgericht einiges Gewicht.

Namensgebung und Kindeswohl
Das Bundesgericht hatte es im Entscheid 107 (1981) II 26 den Eltern, beide leidenschaftliche Verehrer des Philosophen Theodor W. („Wiesengrund“) Adorno, verwehrt, ihr Kind „Wiesengrund“ zu taufen. Bei diesem Namen sei die Gefahr zu gross, dass das Kind im Schulalter dem Spott der Kameraden ausgesetzt sei, argumentierte das Gericht. Demgegenüber stehe bei Namen wie „Bergfriede“, „Burglinde“ oder „Viola“ der Realitätsbezug nicht mehr im Vordergrund. Nach diesem Massstab müsste in der Schweiz die Namenswahl „Dada“ zulässig sein. Nur für ein sehr eingeweihtes Publikum ist es eine reine Sachbezeichnung. Dies umso mehr als zwischenzeitlich Kinder in Deutschland auf den Namen „Didi“, in Südamerika auf den Namen „Dudu“ und in Afrika auf den Namen „Dada“ (das bedeutet: der/die Kraushaarige) registriert worden sind.

Unsittliche Geldleistung?
Auch bei zulässiger Namenswahl stellt sich die Frage, ob das Zahlungsversprechen der Künstler für die Namenswahl als unsittliches Geschäft im Sinne von Art. 27 ZGB qualifiziert werden muss? Die Schenkung unter der Auflage, dem Kind werde ein bestimmter Name gegeben, ist keineswegs ein neuzeitliches, sondern ein durch und durch bürgerliches Phänomen. Selbst Pfarrhäuser sollen die Verbreitung des Namens ihres Kirchenpatrons mit Geldsegen gefördert haben. Wer Geld verspricht, wenn ein Kind auf einen bestimmten Namen lautet, handelt nicht unsittlich. Nur: Eine bindende Verpflichtung können die Eltern nicht eingehen. Der harte Kern von Persönlichkeitsrechten ist nicht verhandelbar (unübertragbar). Die Eltern könnten die einmal geäusserte Zustimmung jederzeit widerrufen.

Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten
Com&Com setzt in der Werbung für das Dadahaus (und ihr Kunstprojekt) Ultraschallbilder des Kindes und später auch Bilder des Neugeborenen ein – beide nicht namentlich identifizierbar. Auch die Eltern sollen – wenn sie es wünschen – anonym bleiben. Dennoch ist die Bildveröffentlichung ein „Eingriff in die Privatsphäre“. Dieser setzt die Zustimmung der Eltern (als gesetzliche Vertreter des Kindes) voraus. Die Inhaber von Persönlichkeitsrechten können Dritten Eingriffe gestatten. Bei Minderjährigen handeln die gesetzlichen Vertreter anstelle des Kindes. Die Vormundschaftsbehörde kann nur bei Gefährdung des Kindeswohls einschreiten.

Auch hier stellt sich aber wiederum die Frage, ob die Kommerzialisierung des Kindes – das Geldverdienen mit Persönlichkeits-Merkmalen (Bilder, Stimme, Name) des Kindes – besonderen Schranken unterworfen ist? Ist ein full-buyout bei Persönlichkeitsrechten möglich? Können die Eltern Com&Com exklusive Nutzungsrechte einräumen? Fest steht, dass Com&Com mit der Dada-Werbung mitten in einen Meinungsstreit zielen, welcher seit rund 10 Jahren vor allem in Deutschland in vollem Gang ist: Es wird über die Kommerzialisierungsfähigkeit von Persönlichkeitsrechten heftig debattiert (die Debatte ist zusammengefasst bei Christian Schwertz, Merchandising, Verlag C.H. Beck, 1997, S.155f.).

Bisher wurde der Trend vorwiegend im Zusammenhang mit Vermarktung von Prominenz diskutiert. Com&Com stellt die soziale Rangordnung auf den Kopf: Der Imagetransfer findet nicht einseitig vom Subjekt auf das Objekt statt, sondern wirkt wechselseitig. Der Proletarier wird zum Prominenten. Auch das macht das Projekt so explosiv, für manche so giftig.


„Wiesengrund“ und „Pepsi-Carola“
Während in Deutschland „Pepsi-Carola“ und in den USA „Canon“ – dort gleich mehrfach zivilstandsamtlich registriert werden konnte, wurde in der Schweiz der Name „Wiesengrund“ mit folgender Begründung abgelehnt: „Entscheidend für die Namensgebung ist letztlich nicht die Einstellung der Eltern zur Religion und auch nicht das Bedürfnis nach Originalität, sondern was hier zählt, ist das Kindeswohl (vgl. die Leitgedanken der Art. 301 Abs. 1 und Art. 302 Abs. 1 ZGB). Im Interessen des Kindes hat die in der Frage der Namensgebung sonst sehr zurückhaltende Rechtsordnung Vorkehren getroffen, dass dem Kind (welches naturgemäss hiezu nicht befragt werden kann) kein Name gegeben werde, welcher ihm während seines ganzen Lebens schaden könnte. Selbst einmal erwachsen, wird sich der Namensträger der mit einem widersinnigen Vornamen verbundenen Nachteile möglicherweise zu entledigen wissen. Zu Recht aber weisen die Vernehmlassungen darauf hin, dass vor allem das Kind im Schulalter wegen seines Namens dem Spott der Kameraden ausgesetzt wäre, woraus psychische Störungen entstehen könnten, die sich hindernd auf das ganze Leben des Betroffenen auswirken. Kinder haben in aller Regel kein bewusstes Bedürfnis nach Originalität; sie leiden im Gegenteil darunter, wenn sie - auf welche Weise auch immer - unter ihresgleichen auffallen.“.


*Dr. iur. Bruno Glaus ist Rechtsanwalt in Zürich und Uznach und berät nicht nur zahlreiche Werbeagenturen, sondern auch Künstlerinnen und Künstler. 2003 ist von ihm mit Co-Autor Dr. Peter Studer das Buch „Kunstrecht“ im Werdverlag Zürich 2003 erschienen.