Letzte Aktualisierung: Juni 2018

Auf dieser Seite:

  • Perpetuierung und Recycling
  • Demokratisierung und Entprofessionalisierung
  • Dynamisierung des Kommunikationsprozesses
  • Auslagerung des Denkens, Emotionalisierung und Personifizierung
  • Keine Medienethik, und auch kein Recht?
  • Erschwerte Rechtsdurchsetzung infolge 'Ortslosigkeit'
 

Heutzutage werden als Neue Medien insbesondere Medien bezeichnet, die Daten in digitaler Form übermitteln oder auf Daten in digitaler Form zugreifen. Im engeren Sinne sind Dienste gemeint, die über das Internet möglich sind. Als Kennzeichen der Neuen Medien lassen sich die rechnergestützte Handhabung, die leichte Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Daten sowie die Möglichkeit zur Interaktivität beim Umgang mit diesen Daten festhalten. Die Digitalisierung von Informationen ermöglicht die Verbreitung und Aufbereitung enorm großer vorerst brachliegender Datenmengen. Durch die Digitalisierung wird die Integration von unterschiedlichen Kommunikationsformen (Text, Bild, Video und Audio, Telekommunikation, Unterhaltungselektronik und Computertechnik) ermöglicht (Multimedialität). Dieses Zusammenwachsen ist kennzeichnend für die Angebote der neuen Informations- und Medienwel

Perpetuierung und Recycling

Was einst neu war, wie Radio oder Fernsehen, kann kaum mehr als “Neue Medien” bezeichnet werden. Das “neue” an diesen Medien ist die dauernde Speicherung und jederzeitige Verfügbarkeit über das Netz. Das Recycling-Potential darf als das gravierendste Problem der neuen Medien bezeichnet werden, weil wir unser mitdenkendes und abwägendes Gedächtnis an Google delegiert haben, wie es der IT-Experte Nicolas Carr so treffend ausführt: „Das Netz wurde bald nicht nur als Ergänzung, sondern als Ersatz für unser persönliches Gedächtnis“ (vgl. CARR, Wer bin ich, wenn ich online bin, München 2010, S. 282). Er zitiert dabei Clive Thompson, der das Netz als „Ausserbordgehirn“ bezeichnete.

Demokratisierung und Entprofessionalisierung

Mit dem Aufkommen der elektronischen Medien hat sich das Bild der Medienschaffenden völlig verändert. Neben den haupt- und nebenberuflichen Medienschaffenden in den klassischen Medien gibt es Millionen von Medienschaffenden, welche sich in der Internetwelt, insbesondere auch in Foren, artikulieren, z.T. in mehr oder weniger strukturierten und öffentlich propagierten Gefässen, z.T. in stillen Gewässern. Jeder Mann und jede Frau ist Medienschaffende geworden und schreibt Beiträge hinter dem eigenen Computer. Wir haben es mit einer Demokratisierung und Entprofessionalisierung des Medienschaffens zu tun. (Vgl. Bericht des Bundesrates zu Social Media, Oktober 2013)

Neue Medien sind weder Himmel noch Hölle: Hier sind sich (fast) alle einig. Die enormen Vorzüge sind zugleich die Schwachstellen: Ortslosigkeit, Geschwindigkeit, Einfalt, Fast-Food. Je nach persönlichem, aber auch geografischem und politischem Standpunkt wird man die neuen, vor allem die sozialen Medien als die Waffe der kleinen Leute im Kampf ums Überleben und für mehr Demokratie preisen, in anderen Hemisphären aber den Verfall der Sinngesellschaft zur Spassgesellschaft beklagen.

Dynamisierung des Kommunikationsprozesses

Eine gesteigerte Transparenz und Zugänglichkeit (Erreichbarkeit) der Information ist geprägt von einer Beschleunigungsspirale in der Verbreitung und einer Dynamisierung der Medienwirkung (neue Medien können, gerade der Gruppendynamik wegen, Brand-Beschleuniger sein und eigentliche Flächenbrände auslösen – siehe Tunis, Kairo, Tottenham, Libyen, aber auch die Sperrfeuer gegen Carl Hirschmann (vgl. UBI-Entscheid b.616) und gegen bzw. für Jörg Kachelmann). Vgl. dazu auch Kapitel Auszug aus Urteil betreffend Beschimpfung über Facebook.

Auslagerung des Denkens, Emotionalisierung und Personifizierung

Die Auslagerung der Speicherkapazität ins Internet führt letztlich zu einer Auslagerung des eigenen Denkens. Wir übernehmen, was andere für und vor uns formuliert haben. Diese besondere Problematik zeigt sich insbesondere auch in den verschiedenen Bewertungsportalen, welche in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind (vgl. Kapitel Bewerten im Internet: Bewertung oder Beschimpfung?). Dabei haben die Anonymität und Kurzweiligkeit in social media eine enthemmende Wirkung. Die Folge davon ist eine Emotionalisierung im Wording, Personifizierung der Probleme, Stigmatisierung von Personen oder auch Personen-'Bashing' (vgl. Kapitel Bashing und 'Outing') statt institutioneller Kritik. Mit Empörungsdebatten ("Shit Storm") erreicht man ein Höchstmass an Aufmerksamkeit bei geringstem Einsatz von Mitteln (NZZ vom 26.04.2012).

Lesetipp: "Polizei-Bashing - wenn Laien zu Medienschaffenden werden" (Co-Referat Bruno und Nathalie Glaus zum Polizeibashing in der Dokumentation zur Sicherheitskonferenz der Schweizerischen Polizeidirektoren KSPD 2011); Bericht des Bundesrates zu Social Media, Oktober 2013

Keine Medienethik, und auch kein Recht?

In Bereich der nichtorganisierten und nur schwer kontrollierbaren Neuen Medien gibt es keinen medienethischen Kodex (wie z.B. der Journalistenkodex des Presserates). Medienethische Kodizes gelten nur für organisierte, strukturierte Medienunternehmen (siehe dazu Protokollerklärung des Presserates), weshalb die Stellungnahmen des Presserates nicht direkt auf grenzwertige Publikationen in Neuen Medien angewendet werden können. Diese Lücke zeigt sich insbesondere beim Verbreiten von "Schock und Peoplebildern" (dazu die Stellungnahmen des Presserates: Nr. 2/2012 "Muammar al-Gaddafi", 53/2004 und 2/1998). Hinzu kommt, dass häufig weder Verfasser, Provider (twitter, facebook, etc.) noch Betreiber des Servers in der Schweiz direkt fassbar sind. Dies führt dazu, dass beispielsweise kaum gegen einen Twitter-Account vorgegangen werden kann, in welchem muslimische Terroristen durch die Veröffentlichung von Bildern getöteter französischer Soldaten, psychologische Kriegsführung betreiben und auf diese Art nicht nur die Gefühle der Angehörigen sondern auch "die elementare Würde des Menschen in schwerer Weise verletzen" (Art. 135 StGB). Zwar sind auch die Neuen Medien grundsätzlich kein "rechtsfreier", aber doch weitgehend ein "rechtsdurchsetzungsfreier" Raum.

 Hörtipp: Radio Top vom 24.01.2013 zur Veröffentlichung von Bildern getöteter französischer Soldaten via Twitter

Erschwerte Rechtsdurchsetzung infolge 'Ortslosigkeit'

Die Durchsetzung der Rechte von Betroffenen ist einerseits aus strukturellen Gründen, anderseits aber auch wegen rechtlicher Paradigmen häufig sehr schwierig. Weder sind alle Foren einer Impressumspflicht unterworfen, noch haben die Verantwortlichen den Sitz immer im selben Land wie des Betroffenen (vgl. dazu Kapitel Verantwortlichkeit und Haftung und Impressumspflicht).

Wer in solchen Kommunikations-Vorgängen rechtswidrig verletzt wird, ist zwar nicht rechtlos, kann das Recht aber häufig nur mit viel Aufwand durchsetzen. Dabei akzentuieren sich einzelne Schwachstellen unseres Rechtssystems im Bereich neuer Medien:

  • Wer in einem Blog eines Mediums Persönlichkeitsrechte Dritter verletzt, kann darauf bauen, dass das Medium die Quelle nicht bekannt gibt. Das Medium darf den Autor bekanntgeben, muss aber nicht (so das Bundesgericht im Urteil BGE 136 IV 145 betreffend Quellenschutz nach Art. 28 a StGB/Strafgesetzbuch). Dies hat zur Folge, dass sich in der rechtlichen Auseinandersetzung nicht zwei ungefähr gleich Starke (oder Schwache) gegenüberstehen, sondern ein David (der Betroffene) einem Goliath (dem Medienhaus mit prall gefüllter 'Kriegskasse'). Der Schutz der Anonymität (siehe dazu Kapitel Schutz der Anonymität?) hat auch eine Schattenseite.
  • Bei einem Boykottaufruf im Internet liegen Motive, eingesetzte Druckmittel und Kausalität von Verletzungshandlungen und Schaden oft im Nebel. Die Zulässigkeit eines Boykottaufrufs hängt wesentlich von den Motiven, vom Zweck und von den eingesetzten Druckmitteln ab (vgl. dazu GOUNALAKIS/RHODE, Persönlichkeitsschutz im Internet, München 2002, Rz 233)
  • Behörden haben keinen strafrechtlichen Ehrenschutz und einzelne Verwaltungsabteilungen nur einen beschränkten Persönlichkeitsschutz. Arbeitgeber sollten sich allerdings – abgestützt auf die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht – gegen ein Bashing einzelner Angestellter oder Beamter zur Wehr setzen können (dazu auch Kapitel Bashing und 'Outing' mit Verweis auf NZZ vom 05.11.2012 und BGE 120 II 225 „stinkender Wirsig“, „Dummkopf“ usw.).

Lesetipp: "Polizei-Bashing - wenn Laien zu Medienschaffenden werden" (Co-Referat Bruno und Nathalie Glaus zum Polizeibashing in der Dokumentation zur Sicherheitskonferenz der Schweizerischen Polizeidirektoren KSPD 2011)

In der Schweiz ist das Recht des Unternehmens, in Ruhe gelassen zu werden, noch (zu) wenig anerkannt (in Deutschland: Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb, vgl. GOUNALAKIS/RHODE, Persönlichkeitsschutz im Internet, München 2002, Rz 233). Allerdings kann eine krasse Verzerrung des Unternehmensbildes auch in der Schweiz unter lauterkeitsrechtlichen Gesichtspunkten eingeklagt werden


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