Letzte Aktualisierung: Juni 2018

  • Die Empfehlungen der Fachleute
  • Geheimnis und Informationsberechtigung (Rechtfertigungsgründe)
  • Krisenkommunikation am Beispiel des „AGT“

Krisenkommunikation ist eine besondere Kunst. Von wenigen beherrscht. Es werden immer die gleichen Fehler wiederholt, wie Andrea Masüger, der begnadete Publizist und CEO aus dem Hause „Südostschweiz“ an einer Tagung ausführte. Als die immer gleichen Kapitalfehler ortete er gemäss NZZ vom 07.04.2012:

  • Mangelnde Sensibilität gegenüber der öffentlichen Bedeutung des eigenen Amtes
  • Ignorieren der brennenden Lunte
  • Salamitaktik (nur zugegeben, was schon bekannt ist)
  • Zu spätes Einräumen von Fehlern
  • Beharren auf Formalismen

Die Empfehlungen der Fachleute

Fachleute empfehlen deshalb:

  • Vorgang ernst nehmen (nicht etwa in der Toskana bleiben und ausrichten lassen, es gebe nichts zu sagen, wie es ein ehemaliger Bündner Regierungsrat zu Bestechungsvorwürfen tat), -
  • schnell reagieren, Problem nicht aussitzen,
  • umfassend reagieren,
  • allenfalls Entschuldigung für Vorgefallenes
  • vollständige Information.

Wie bei allen Regeln, gilt auch hier: Keine Regel ohne Ausnahme. Das proaktive Handeln ist zwar die Regel. Bei besonderen Wetterlagen kann allerdings Zurückhaltung durchaus eine richtige Reaktion sein. Zur Wetterbeurteilung gehört auch die publizistische Grosswetterlage. Sind viele andere Themen aktuell, besteht durchaus die Chance, dass die lokal-regionale Story auf kleinem Feuer gekocht wird. In der sauren Gurke-Zeit kann aber der Bestechungsvorwurf gegen einen Bündner Regierungsrat schon zum nationalen Sommerloch-Füller werden.

Glaus & Partner hat wiederholt Unternehmen, öffentliche Institutionen und Behörden in Krisenzeiten beraten. Aus diesem Erfahrungsschatz lassen sich folgende zusätzliche Verhaltensregeln (in Ergänzung zu den vorgenannten) forumlieren:

  • Kommunikationsregeln präventiv festlegen
  • Kommunikationsverhalten einüben
  • Krisenkommunkationsverhalten interdisziplinär festlegen und koordinieren
  • Interessengüterabwägung vornehmen und gegenüber Medien transparent machen
  • Medien auf negative Rückkoppelungseffekte (Angehörige, Verletzung der Unschuldsvermutung, Wettbewerbsnachteile bzw. unlauteren Wettbewerb) hinweisen.

Jedes Unternehmen ist heute gut beraten, im Voraus eine aktive Kommunikationspolitik zu entwickeln. Dies gilt insbesondere auch für die Krisenkommunikation, welche im besonderen Mass vorzubereiten ist. Eine gut geplante Krisenkommunikation ist erforderlich, weil es in der Krise meist an der Zeit zur Vorbereitung der richtigen Schritte und Worte fehlt. Es ist empfehlenswert, die Leitplanken „bei schönem Wetter“ festzulegen. Die Ermessensentscheide der Unternehmensverantwortlichen im Einzelfall können ausschlaggebend sein für den Erfolg oder Misserfolg einer unternehmerischen Krisenbewältigung (NOBEL, Unternehmenskommunikation, Bern 2009, S. 2).

Geheimnis und Informationsberechtigung (Rechtfertigungsgründe)

Definition „Geheimnis“

Gemäss strafrechtlicher Definition ist eine Tatsache geheim, wenn
a) sie weder allgemein bekannt noch allgemein zugänglich ist, von der demnach ausser dem Geheimnisherrn nur ein beschränkter Personenkreis weiss;
b) an der Aufrechterhaltung dieser beschränkten Bekanntheit ein schutzwürdiges Interesse besteht;
c) der Wille besteht, die Kenntnis auf einen bestimmten Kreis von Personen beschränkt zu halten 

Diese Definition des Geheimnisses kann analog auch im Zivil- und Kommunikationsrecht angewendet werden. Wendet sich z.B. ein Patient mit seiner Krankengeschichte von sich aus an die Medien, handelt es sich bei den Tatsachen, welche er bekannt macht, nicht mehr um geheime Tatsachen und das Spital kann sich zu diesen – aber auch nur zu diesen – Tatsachen sachlich und zurückhaltend äussern.

Der Schutz des Berufsgeheimnisses gemäss Art. 321 StGB gilt nicht absolut. Den Rechtfertigungsgründen kommt im Bereich der Verletzung des Berufsgeheimnisses erhebliche Bedeutung zu. 

Die Einwilligung des Berechtigten

Willigt der Geheimnisherr vorbehaltlos in die Offenbarung ein, liegt schon gar kein Geheimnis vor, weil der Geheimhaltungswille fehlt. Liegt eine partielle Einwilligung vor, das Geheimnis gegenüber bestimmten Personen oder Amtsstellen zu offenbaren, entfällt die Rechtswidrigkeit, sofern die allgemeinen Anforderungen, die an eine Einwilligung gestellt werden, erfüllt sind. Erforderlich ist dabei, dass der Geheimnisherr urteilsfähig ist und die Einwilligung vor dem Eingriff in Kenntnis aller wesentlichen Umständen und freiwillig geäussert wird. 

Bewilligung der vorgesetzten Behörde

Straflos bleibt der Täter auch, wenn er das Geheimnis auf Grund einer auf sein Gesuch hin erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat. Das Gesetz enthält keine Kriterien, welche von der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde bei ihrem Entscheid zu beachten sind. Meist wird aufgrund allgemeiner Kriterien eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen vorgenommen, wobei nur ein deutlich höherwertiges öffentliches oder privates Interesse die Entbindung zu rechtfertigen vermag. Die Pflicht zur Geheimniswahrung kann insbesondere im Bereich der ärztlichen Schweigepflicht mit Offenbarungs- bzw. Meldepflichten kollidieren; so etwa beim Schwangerschaftsabbruch, bei übertragbaren Krankheiten, bei aussergewöhnlichen Todesfällen etc.

Gesetzliche Grundlage (z.B. § 15 Gesundheitsgesetz Zürich)

1 Personen, die einen Beruf des Gesundheitswesens ausüben, und ihre Hilfspersonen wahren Stillschweigen über Geheimnisse, die ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden sind oder die sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben.
2 Die Bewilligung der Direktion oder die Einwilligung der berech¬tigten Person befreit von der Schweigepflicht. Innerhalb von Praxis¬gemeinschaften wird die Einwilligung zur Weitergabe von Patientendaten vermutet.
3 Ungeachtet der Schweigepflicht melden Personen gemäss Abs. 1 der Polizei unverzüglich:
a. aussergewöhnliche Todesfälle, insbesondere solche zufolge Unfall, Delikt oder Fehlbehandlung einschliesslich ihrer Spätfolgen sowie Selbsttötung,
b. Wahrnehmungen, die auf die vorsätzliche Verbreitung gefährlicher übertragbarer Krankheiten bei Mensch und Tier schliessen lassen.
4 Sie sind ohne Bewilligung oder Einwilligung nach Abs. 2 berechtigt,
a. den zuständigen Behörden Wahrnehmungen zu melden, die auf ein Verbrechen oder Vergehen gegen Leib und Leben, die öffentliche Gesundheit oder die sexuelle Integrität schliessen lassen,
b. den Ermittlungsbehörden bei der Identifikation von Leichen behilflich zu sein.

Im Kanton Zürich ist das Gesuch um Entbindung von der beruflichen Schweigepflicht an die Rechtsabteilung der Gesundheitsdirektion zu stellen. Ein entsprechendes Gesuchsformular wird von der Direktion auf der Homepage der Gesundheitsdirektion ZH zur Verfügung gestellt. Wichtig ist, dass der Sachverhalt kurz dargelegt wird und aus dem Gesuch ersichtlich ist, wen man informieren möchte. Es ist hilfreich, allenfalls vorhandene Texte, welche Falschaussagen enthalten, mitzusenden. Weiter ist zu beachten, dass das Gesuch von einem Chefarzt zu unterzeichnen ist.

Zeugnis- und Auskunftspflichten

Neben der Einwilligung des Berechtigten und der schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde, bleiben v.a. die Zeugnis- und Auskunftspflichten gegenüber den Behörden vorbehalten. Es muss allerdingt stets darauf geachtet werden, dass die Verhältnismässigkeit gewahrt bleibt und die schützenswerten Rechte nicht übermässig beeinträchtigt werden (NOBEL, a.a.O. S. 282 f.).

Notwehr und Notstand

Im Übrigen gelten auch bei der Verletzung des Berufsgeheimnisses die allgemeinen Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, Notstand und Notstandshilfe, tatsächliche oder mutmassliche Einwilligung des Verletzten, Wahrung berechtigter Interessen oder Pflichtenkollision (OBERHOLZER, BSK, Art 321 N18 ff.). Auch ein Privatspital kann sich in Ausnahmesituationen in einem eigentlichen Notstand befinden, welcher es rechtfertigt, ein Rechtsgut aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten (vgl. dazu Martin Schubarth, Arztgeheimnis – Kann sich der Arzt, der sich an einen Anwalt wendet, auf Notstand berufen? Anwaltsrevue 8/2008, S. 347). Entsprechende Fragen können sich auch bei anderen Geheimnisträgern stellen und zwar nicht nur bei solchen, welche in Art. 321 StGB genannt sind, sondern auch bei Trägern von Amts-, Geschäfts- oder Bankgeheimnissen. Die Geheimnisträger sollen „in einem Konflikt mit Kritikern nicht wehrlos dastehen“ müssen (Schubarth, S. 348). Bei Eingriffen zugunsten von Rechtsgütern der Allgemeinheit wird über die in Art. 17 StGB geregelten Fälle hinaus ein übergesetzlicher Notstand diskutiert (BSK Strafrecht II-Kurt Seelmann, Art. 17 N 15).

So wird auch in § 14 Abs. 3 IDG (Gesetz über die Information- und Datenschutz des Kantons Zürich, LS 170.4) festgehalten, dass das öffentliche Organ über hängige Verfahren informieren darf, wenn dies zur Berichtigung oder Vermeidung falscher Meldungen notwendig ist oder wenn in einem besonders schweren oder Aufsehen erregenden Fall die unverzügliche Information angezeigt ist. In einer Notstandsituation sollte sich unserer Auffassung nach ein Spital, welche öffentliche Aufgaben wahrnimmt, auf die analoge Anwendung dieser Bestimmung berufen können.

Krisenkommunikation am Beispiel des „AGT“

Nachfolgend sollen am Beispiel des „AGT“, des aussergewöhnlichen Todesfalles in Spitälern, Aspekte der Krisenkommunikation aufgezeigt werden. Bereits im Kapitel „Informationsrechte von Behörden“ ist auf den Paradigmenwechsel in den letzten Jahren hingewiesen worden. Es gilt überwiegend der „Öffentlichkeitsgrundsatz mit Geheimhaltungsvorbehalt“. Im gleichen Kapitel ist auch aufgezeigt worden, dass die Behörden heute häufig aufgrund einer gesetzlichen Grundlage recht offen informieren dürfen.

Unverändert bleibt indes das Prinzip der Güterabwägung im Einzelfall. Der Persönlichkeitsschutz von Beteiligten und Betroffenen und das Amts- und Berufsgeheimnis im Dienste dieser Interessen sind gegen das Interesse der Öffentlichkeit am Diskurs und an der Information abzuwägen. In die Waagschale darf auch das Interesse von Institutionen, von Behörden und Spitälern zum Beispiel, geworfen werden, sich gegen Vorwürfe zu wehren.

Für bestimmte Berufe gilt aber trotz Öffentlichkeitsgrundsatz nach wie vor der strafrechtlich geschützte Grundsatz, dass die Geheimhaltung im Vordergrund steht (geheim ist allerdings nur, was noch nicht bekannt ist).

Art. 321 StGB Verletzung des Berufsgeheimnisses

1. Geistliche Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, nach Obligationenrecht zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, da ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist, oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2. Der Tätiger ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis auf Grund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters erteilten 
schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat. 
3. Vorbehalten bleiben die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Zeugnispflicht und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde.

Zweck der Kommunikationsverbote ist der Schutz von Rechtsgütern, die höher eingestuft werden, als die vermittelten Informationen (NOBEL, a.a.O., S. 263). Ärzte sind gemäss Art. 321 StGB zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Bestimmung ist insofern für die Unternehmenskommunikation relevant als auch Krankenhäuser, die als Unternehmen klassifiziert werden können, in ihren Anwendungsbereich fallen. Diese Institutionen können die ihnen übertragene Aufgabe nur dann optimal erfüllen, wenn ihre Klientel keine Bedenken haben muss, sich ihnen rückhaltlos anzuvertrauen. Verboten ist dabei das Offenbaren der vertraulichen Information. Darunter ist jedes Zugänglichmachen der geheim zu haltenden Tatsachen an Unberufene zu verstehen, wie auch das Unterlassen hinreichender Verwahrung von Akten.

Empfehlungen für den Fall des „AGT“

Empfehlung zur Vorbereitung einer guten Krisenkommunikation: Mit der vorgesetzten Behörde, z.B. mit der Kantonsärztin und dem zuständigen Departement sollte in einer ruhigen Phase der Kontakt hergestellt werden, damit man in der Krisensituation weiss, an wen man sich wenden muss. Wenn das Gespräch mit diesen Behörden gesucht wird, sollten vorsorglich folgende Fragen diskutiert und geklärt werden:

  • Anerkennen Sie, dass ein Spital Notstand geltend machen kann, wenn es darum geht, Falsches richtig zu stellen?
  • Niemand darf wehrlos der Kritik ausgesetzt werden. Solange Voraussetzungen für Notstand nicht vorliegen und die Entbindung auf dem ordentlichen Weg nicht eingeholt werden kann (aus welchen Gründen auch immer, z.B. Wochenende), besteht die Möglichkeit einer nachträglichen Entbindung durch die Behörde?

Definition des aussergewöhnlichen Todesfalles

In der Kommunikation mit den verschiedenen Medien ist es unseres Erachtens wichtig, dass das Spital darauf hinweist, was genau ein aussergewöhnlicher Todesfall (AGT) ist. Denn oft sind sich Laien nicht bewusst was hinter dem Begriff steht. Hier kann man die Chance wahrnehmen dies zu klären und auch kurz zu erläutern, wie das Verfahren abläuft. So wird für Dritte ersichtlich, dass die Meldung eines aussergewöhnlichen Todesfalls keiner eigentlichen Strafuntersuchung gleichzustellen ist und keine Verurteilung bevorsteht. Die Meldung führt dazu, dass durch die zuständige Stelle abgeklärt wird, ob im gemeldeten Fall genügend Anhaltspunkte vorliegen, damit ein Strafverfahren eröffnet werden kann. Diese Vorabklärungen führen indes meist zu einer Einstellung des Verfahrens, d.h. es wird kein Strafverfahren eröffnet. Es lohnt sich zu diesen Punkten ein Merkblatt abzufassen, welches den Medienschaffenden abgegeben werden kann.

Das Gesetz enthält keine detaillierte Definition des „aussergewöhnlichen Todesfalls“. Eine genauere Umschreibung findet sich in den Weisungen für die Untersuchungsführung der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Der aussergewöhnliche Todesfall wird dort wie folgt definiert:

„Als aussergewöhnlich gilt jeder Todesfall, der nicht sofort eindeutig auf eine natürliche Todesursache oder eine absichtlich oder unabsichtlich durch einen Dritten herbeigeführte Tötungs- oder Verletzungshandlung zurückzuführen oder bei welchem die Leiche nicht eindeutig identifiziert ist. Dazu zählen insbesondere auch tödliche Unfälle ohne Anhaltspunkte für ein Drittverschulden, Suizide, assistierte Suizide und Suizidversuche mit schweren Verletzungen, Todesfälle, bei welchen kein Arzt einen Totenschein ausstellt, jeder plötzliche Kindstod und Todesfälle mit unbekannten Leichen.“

Aus dieser Definition geht hervor, dass der Begriff „aussergewöhnlicher Todesfall“ im Kanton Zürich sehr weit gefasst wird, was dazu führt, dass viele Fälle gemeldet werden (müssen). Die Meldeschwelle im Kanton Zürich ist sehr tief, es wird jeder Todesfall als aussergewöhnlicher Todesfall gemeldet, dessen Ursache nicht klar ersichtlich ist. Gestützt auf § 27 Abs. 1 Gesundheitsgesetz des Kantons Luzern (SRL Nr. 800), sind aussergewöhnliche Todesfälle durch Bewilligungsinhaber umgehend der Strafverfolgungsbehörde zu melden. Aussergewöhnlich im rechtsmedizinischen Sinne sind alle Todesfälle, die plötzlich und unerwartet eingetreten sind, sowie alle gewaltsamen und solche, die vielleicht gewaltsam verursacht worden sein könnten. Neben den offensichtlich nicht natürlichen Todesfällen (Tötungsdelikt, Suizide, Unfälle) gehören dazu auch alle plötzlichen und unerwarteten Todesfälle (inklusive dem plötzlichen Kindstod), Todesfälle als sichere oder mögliche Folge diagnostischer oder therapeutischer Massnahmen sowie fund- und fäulnisveränderte Leichen unklarer Identität (FMH Verbindung der Schweizer Ärzte und Ärztinnen, Der Arzt als Berichterstatter: Vom Berufsgeheimnis zur Rechnungsstellung, S. 82, abrufbar auf www.fmh.ch).

Das Verfahren der Meldung bzw. nach der Meldung

Die Abklärungen nach aussergewöhnlichen Todesfällen finden in einem besonderen Verfahren, einem Verfahren sui generis, statt. Wird ein aussergewöhnlicher Todesfall gemeldet, rückt die Polizei zusammen mit dem Amtsarzt aus. Es kommt zu einer Legalinspektion vor Ort. Kann ein Verbrechen oder Vergehen nicht durch eine Legalinspektion oder polizeiliche Ermittlung ausgeschlossen werden, hat die Untersuchungsbehörde eine Obduktion anzuordnen. Liegen bei einem gemeldeten aussergewöhnlichen Todesfall keine konkreten Anhaltspunkte auf eine strafbare Handlung vor, wird keine Strafuntersuchung eröffnet. Die Verfahren betreffend aussergewöhnliche Todesfälle werden meist – d.h. dort wo kein Anhaltspunkt auf strafrechtlich relevantes Verhalten besteht, mit einer Einstellungsverfügung abgeschlossen.

Die Strafuntersuchung: Die verschiedenen Verfahrensstufen

In der Medienkommunikation ist zu beachten, dass das Strafverfahren in verschiedene Stufen gegliedert wird. Auf der Stufe Ermittlungsverfahren steht noch keineswegs fest, dass es ernsthafte Verdachtsmomente gegen einen Beschuldigten gibt. In dieser Phase ist besonders zurückhaltend mit Vorwürfen umzugehen. Auch auf der Stufe Untersuchungsverfahren muss der Unschuldsvermutung mit besonderen Massnahmen (keine Namensnennung, expliziter Hinweis auf die Unschuldsvermutung und Nennung von entlastenden Hinweisen usw.) Rechnung getragen werden. Leider beachten und kommunizieren die wenigsten Medienschaffenden die nachfolgenden unterschiedlichen Verfahrensstufen:

Ermittlungsverfahren Auf dieser Verfahrensstufe wird geprüft, ob Verdachtsmomente vorliegen und wenn ja, gegen wen. Es wird abgeklärt, ob genügend Anhaltspunkte für die Durchführung eines Strafverfahrens vorhanden sind. Diese Verfahrensstufe wird im vorliegenden Fall durch die Anzeige des Spitals beim Amtsstatthalteramt ausgelöst.

Untersuchungsverfahren Es gibt Verdachtsmomente gegen bestimmte Personen und diese werden nun eingehend geprüft bzw. untersucht. Es werden die erforderlichen Beweise gesammelt und allenfalls Gutachten in Auftrag gegeben.

Einstellung oder Anklage Die Ergebnisse aus dem Untersuchungsverfahren werden geprüft. Gestützt darauf entscheidet die Behörde, ob das Verfahren eingestellt oder ob Anklage erhoben wird.

Gerichtsverfahren Das Gericht führt ein Verfahren durch, welches mit einem Urteil abgeschlossen wird. Das Urteil kann mit Rechtsmittel angefochten werden.

Unschuldsvermutung

Art. 6 Abs. 2 EMRK besagt, dass die Unschuld des wegen einer Straftat Angeklagten bis zum gesetzlichen Nachweis einer Schuld vermutet wird. Diese Unschuldsvermutung richtet sich als Abwehrrecht gegen die staatlichen Behörden. Die Tragweite des Grundrechts erstreckt sich indes auch auf die Medien, können diese doch den Gang des Verfahrens aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit und des Drucks auf den Strafrichter beeinflussen oder zumindest eine Gefahr der Beeinflussung darstellen (NOBEL/WEBER, Medienrecht, 3. Auflage, Kapitel 2 N 35 f.). Die Pressefreiheit schützt grundsätzlich das Recht, über hängige Verfahren zu berichten, jedoch muss dabei auf die Unschuldsvermutung hingewiesen werden.

Die Unschuldsvermutung ist auch in der Richtlinie 7.5 der Erklärung über die Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten verankert: Bei der Gerichtsberichterstattung ist der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Würde der Grundgedanke der Unschuldsvermutung bei der Beurteilung von Presseveröffentlichungen nicht berücksichtigt, könnte die Unschuldsvermutung in Fällen mit grösserem publizistischem Interesse faktisch aus den Angeln gehoben werden. Das öffentliche Interesse an der Aufdeckung von Missständen kann auch durch Nennung von Verdachtsmomenten befriedigt werden. Die Unschuldsvermutung muss sogar bei einem Geständnis weiterhin beachtet werden, denn Geständnisse können widerrufen werden (NOBEL/WEBER, a.a.O, 14 N 18).

Unter medienethischen Grundsätzen ist auch die sog. Anhörungspflicht zu berücksichtigen. Gemäss Richtlinie 3.8 zur Erklärung der Rechte von Journalisten und Journalistinnen sind Medienschaffende verpflichtet, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe zu befragen und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben, auch wenn sich aus der „Erklärung“ keine Pflicht zur objektiven Berichterstattung ableiten lässt (Presserat Stellungnahme 7/2004 und 66/2008).

Lauterkeitsrecht

Das UWG (Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, SR 241) gewährleistet die Lauterkeit und Unverfälschtheit des Wettbewerbs im Interesse aller Beteiligten (Art. 1 UWG) und schützt – entsprechend dem funktionalen Wettbewerbsbegriff – die (gleichwertigen) Interessen von Wirtschaft, Konsumenten/ Abnehmern und Allgemeinheit (STUDER, Medienfalle, N 11.3, VON BÜREN/ MARBACH/DUCREY, N 1065). Unlauter und widerrechtlich ist gestützt auf die Generalklausel jedes täuschende oder in anderer Weise gegen Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst (Art. 2 UWG). Die reisserische Berichterstattung über einen Vorfall in einem Spital kann durchaus geeignet sein, den Wettbewerb zu beeinflussen. Gestützt auf die Unschuldsvermutung gegenüber den „verdächtigten“ Personen und dem Lauterkeitsrecht gegenüber dem Unternehmen, sind die Medien gehalten, sachlich richtig und nicht reisserisch zu informieren. (Siehe auch Kapitel Lauterkeitsrecht)

Der Umgang mit den Medien im konkreten Fall

Wichtig ist zunächst, dass man gegenüber den Medien klar und deutlich kommuniziert, so dass die Medienschaffenden verstehen, was kommuniziert wird. Hier ist wichtig, dass man ein sog. allgemeines „Argumentarium“ für Krisensituationen vorbereitet. Wird gegenüber einem Medium Auskunft erteilt und werden diese Aussagen in der Berichterstattung verarbeitet, müssen Sie sich das Recht auf Gegenlesen ausbedingen. Wird gegenüber einem Radio- oder Fernsehsender ein Interview gegeben, muss ein (mündlicher) Interviewvertrag vereinbart werden. D.h. es wird vereinbart, für welche Sendung das Interview gegeben wird, dass man für einen Trailer nicht zusammenhangslos Aussagen aus dem Interview herauspicken darf und dass Versprecher etc. herausgeschnitten werden und die Antwort wiederholt wird.

Wird man auf gütlichem Weg mit dem Medium nicht einig und steht eine persönlichkeitsverletzende Berichterstattung bevor, kann mit vorsorglichen Massnahmen die Berichterstattung untersagt werden. Ist der Bericht bereits erschienen besteht die Möglichkeit, ein ordentliches Gerichtsverfahren einzuleiten oder einen sog. Bestreitungsvermerk in den Archiven anbringen zu lassen.

„Argumentarium“ / Pressemitteilung

Gegenüber den Medien muss klar kommuniziert werden, wie ein Strafverfahren abläuft und in welcher Phase man sich zurzeit gerade befindet. D.h. man teilt den Medien mit, dass es leider zu einem aussergewöhnlichen Todesfall kam und erklärt, was ein aussergewöhnlicher Todesfall sein kann. Wichtig ist, zu betonen, dass in diesen Verfahrensstadien noch keine Anklage erhoben wurde und es meist nicht zu einer Anklage kommt, sondern dass das Verfahren auch eingestellt werden kann. Die Unschuldsvermutung ist während des gesamten Verfahrens (auch von den Medien) zu beachten. Es muss gegenüber den Medien deutlich gemacht werden, dass Risiken, eintreten können und dies leider vorgekommen ist. Wichtig ist jedoch, klar zu kommunizieren, dass man richtig reagiert hat und man den Patienten oder die Angehörigen auf die Risiken hingewiesen hat. Man muss in der Kommunikation mit den Medien stets bei der Wahrheit bleiben. Weiter darf man sich nicht unter Druck setzten lassen und sich u.a. auch genügend Zeit nehmen und die Anfragenden vertrösten und z.B. erklären dass man zu einem späteren Zeitpunkt mittels Medienmitteilung kommunizieren werde. Wichtig ist dann, dass in der Medienmitteilung eine Ansprechsperson genannt wird, die nach dem Versand unter den angegebenen Kontaktdaten auch erreichbar ist.

Sobald Öffentlichkeit durch eine Medienberichterstattung hergestellt ist, darf das Spital unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte der Patienten und der Angehörigen auf einer sachlichen Ebene informieren. Es ist jedoch überaus wichtig, dass die Information auf eine klare und verständliche Weise erfolgt und dass die Wortwahl gut bedacht wird. Im Einzelfall müssen, bevor man mit den Medien in Kontakt tritt oder mit einer Pressemitteilung oder einer Pressekonferenz an die Medien gelangt, u.a. folgende Fragen sorgfältig geklärt werden:

  • Was ist bei der fraglichen Behandlung passiert? Gibt es Schwachstellen?
  • Falls es im fraglichen Fall zu einer Überweisung in eine andere Klinik kam, was ist dort passiert? Was ist der Stand der Dinge in dieser Klinik? Besteht allenfalls Koordinationsbedarf?
  • Was ist nach dem Todesfall zur Konfliktbefriedigung passiert? Wurde der Fall bei der Haftpflichtversicherung angemeldet? Fanden mit den Eltern Gespräche statt? Sind vor den Verlautbarungen gegenüber Medien allenfalls Angehörige zu informieren und in die Entscheidfindung einzubeziehen? (siehe auch Kapitel Schutz der Angehörigen).

Wird im konkreten Fall eine Pressemitteilung verfasst, empfehlen wir, dass diese vor dem Versand durch eine unbeteiligte Drittperson auf Verständlichkeit etc. geprüft wird.

Nachbearbeitung / Bestreitungsvermerk

Teil eines guten Krisenmanagements ist nicht nur die vorbereitende, präventive Arbeit und das kompetente und schnelle Handeln im Krisenfall. Teil des professionellen Krisenmanagements ist auch die Nachbearbeitung – Evaluation und Schadensbegrenzung. Den grössten Reputationsschaden richten oft die Datenbanken und Suchmaschinen, weil hier die Eintagsfliege zur Konserve mit Recycling-Potential wird. Deshalb ist der Archivbewirtschaftung grosses Augenmerk zu schenken. Gestützt auf Art. 15 Abs. 4 DSG kann ein Bestreitungsvermerk in den Archiven und Onlineportalen angebracht werden. Auf den Bestreitungsvermerk hat die Betroffene Anspruch, wenn weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit von Personendaten nachgewiesen werden kann (RAMPINI, BSK-DSG, Zürich 2006, Art. 15 N 4). Wie die Erfahrung gezeigt hat, hat sich Tamedia was das Anbringen des Bestreitungsvermerks angeht, kooperativ gezeigt. Dieses kooperative Vorgehen hängt oft auch von den persönlichen Kontakten ab.


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